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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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18 kriegen nur Leute, die politisch unbedenklich sind.«
    »Aber man könnte doch einfach ablegen und nichts wie weg?«
    »Keine Chance. Oben auf dem Berg ist der Wachturm. Von dort beobachten die Grenzer den Bootsliegeplatz und alles, was sich bewegt. Dann gibt es noch die Grenzstreifen am Ufer. Keiner weiß, wo die gerade sind und wann sie hier vorbeikommen. Angeblich sollen auf dem Grund der flachen Bucht Induktionsstreifen liegen, die ein Signal geben, wenn ein Boot darüberfährt.«
    »Und wenn man das alles ignoriert und in einem günstigen Moment bei Nacht und Nebel verschwindet?«, hakt Julia nach.
    »Ein Stück weiter südlich von hier ist ein Wachturm mit einem riesigen Radar. Die melden das per Funk dem draußen liegenden Wachschiff, und dann fährst du denen genau in die Arme. Vergiss es! Das bringt nur furchtbare Jahre im Knast.«
    Sie stellen die Teller zusammen, trinken das Bier und blicken zum Strand. Dabei beobachten sie eine Grenzstreife, die mit Taschenlampen die Fischerboote ableuchtet. Als die Grenzer weg sind, sagt Lotte halblaut: »Geschafft haben das nur wenige Leute mit kleinen Schlauchbooten oder Paddelbooten, die man schwer im Radar erkennt. Und das Boot muss man an einem einsamen Küstenabschnitt zu Wasser lassen, auf keinen Fall hier. Aber überall können Grenzer auftauchen und dir eine Kugel in den Rücken schießen. Mit Glück könnte es bei Schietwetter oder Nebel klappen. Die dürfen dich auf See nicht sehen, wenn der Morgen graut und du schon kurz vor Dänemark bist. Auch da lauern sie noch Flüchtlingen auf. Bei Sturm und Seegang sind die Flüchtlinge am schwersten auszumachen. Aber mit einem kleinen Boot bei schwerer See riskierst du dein Leben. Mein ehemaliger Lebenspartner ist so abgehauen. Er wäre ersoffen, hätte ihn nicht ein dänischer Ausflugsdampfer gerettet.«
    »Keine Sorge, Lotte«, sagt Jonas. »Wir werden nicht versuchen, von hier aus abzuhauen.«
    »Na, dass sie mir dann wegen Beihilfe zur Republikflucht die Kneipe wegnehmen und mich nach Bautzen stecken, kannste dir ja denken.«
    »Das weiß ich.«
    »Ich kapiere nicht, warum alle Freunde, die mich hier besuchen, immer fragen, wie sie am besten über die Ostsee abhauen können. Ein paar Leute müssen doch hierbleiben. Leute mit Rückgrat braucht das Land! Duckmäuser und Stasi-Spitzel haben wir genug.«
    »Es fällt schwer, zu bleiben«, entgegnet Jonas, »und jeden Tag den Stacheldraht anzustarren. Gerade wenn man jung ist und noch nichts von der Welt gesehen hat.«
    »Wartet mal, ich zeige euch was.«
    Lotte serviert drei neue Bier und bringt einen Karton voller Fotos. Es sind alte Schwarz-Weiß-Bilder von Vitt, von der einsamen Rügen'schen Steilküste und dem Leben der Fischer.
    »So eine schöne Insel... Ist das nicht ein Grund zum Bleiben? Wenn ihr Ruhe und Frieden sucht, dann zieht nach Rügen und sucht euch eine Nische. Mich lassen sie auch in Ruhe.«
    »Das hieße aufgeben und sich anpassen«, erwidert Jonas.
    »Nee, nicht anpassen. Sondern im Lande bleiben und sich täglich wehren. Mit etwas Glück findet ihr für wenig Geld ein altes reetgedecktes Haus, das ihr kaufen könnt.«
    »Leider ist das in unserem Fall nicht so ohne Weiteres möglich«, antwortet Julia. Müde vom Bier und von der Reise verabschieden sich Julia und Jonas zeitig ins Bett. Umschlungen liegen sie in ihrer Mansarde unter dem Reetdach und lauschen bei offenem Fenster dem gleichmäßigen Rauschen des Meeres.
    Möwengeschrei und blinzelnde Sonnenstrahlen wecken sie am Morgen. Nach dem Frühstück gehen sie an den Strand. Zwei ältere Männer in blauen Wattejacken mit qualmenden Pfeifen im Mundwinkel kalfatern ein altes Holzboot nach traditioneller Art mit Werg und überstreichen die Nähte mit heißem Pech. Julia macht jede Menge Fotos.
    »Jonas, es steckt viel Wahrheit in dem, was Lotte gestern sagte.«
    »Ich will trotzdem nicht hierbleiben.«
    »Hier ist das wahre Paradies.«
    »Siehst du die Wachtürme nicht mehr?«
    »Ein solches Dorf am Steilufer. Soviel Ruhe und Frieden. Das findest du im Westen nicht.«
    »Im Westen gibt es auch eine Ostsee.«
    »Ja, Autokolonnen bis kurz vorm Strand. Überall betonierte Parkplätze. Und an den schönsten Orten haben sie auf den Dünen Promenaden gebaut.«
    »Und die Nordsee-Inseln?«
    »Ich war mal auf Sylt. Da fahren alle, die sich für besonders wichtig halten und gesehen werden wollen, in ihren dicken Autos auf und ab. Klar gibt es auf Sylt schöne Hotels und noble Restaurants, aber alles

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