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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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zieht demonstrativ seine uralte Schreibmaschine zu sich und spannt ein Blatt Manuskriptvorlage ein. »Ich muss ein paar Meldungen schreiben und in einer halben Stunde zu einer Pressekonferenz.«
    »Die Meldungen sind bereits geschrieben. Zur Pressekonferenz ist schon ihr Kollege unterwegs, auf dessen Stuhl ich gerade sitze. Nichts hindert Sie daran, meiner Einladung zu folgen.« Der Fremde lächelt Jonas souverän an, greift in seine Jackeninnentasche und holt einen kleinen Ausweis hervor, der an einem goldenen Kettchen hängt. Der Mann, der sich Jäger nennt, klappt den Ausweis nur einmal kurz auf. Jonas liest die fette Überschrift neben dem Passfoto: Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik. Ehe Jonas mehr erfassen kann, ist der Ausweis zugeklappt und wieder weggesteckt.
    »Ich darf meinen Arbeitsplatz nicht ohne Zustimmung meines Chefredakteurs verlassen. Ich frag mal nach, was der dazu sagt.« Jonas springt entschlossen auf, greift seine Tasche und will sich aus dem Staub machen.
    In dem Moment geht die Tür auf. Der Chefredakteur platzt mit wichtiger Miene herein, hält aber verunsichert inne. Eine lange Sekunde lang stehen sie sich Auge in Auge gegenüber. Jonas wirft einen verächtlichen Blick über die Schulter auf den Fremden hinter sich und sieht seinen Chef hilfeflehend an.
    »Na, dann ist ja alles geklärt«, sagt der Stasi-Mann lächelnd und erhebt sich. »Lassen Sie uns am besten gleich losfahren.«
    »Sieh zu, Jonas, dass du mittags wieder hier bist«, sagt sein Chefredakteur matt. »Ohne dich gibt's morgen keine Lokalseite.«
    Jonas bedankt sich mit einem stillen Nicken. Beide wissen nur zu genau, dass es eine ganz und gar hilflose Geste ist, mit dem Verweis auf die Lokalseite einen Redakteur aus den Fängen der Stasi befreien zu wollen.
    Unten vor dem Verlagshaus öffnet Jäger die Tür eines dunkelblauen Lada, fordert Jonas auf einzusteigen und nimmt dann selbst neben ihm, hinter dem Fahrer Platz. Der Fahrer sagt kein Wort, sondern betrachtet alles in seinem außergewöhnlich breiten Rückspiegel. Dann nickt er, als habe er einen lautlosen Befehl erhalten, und startet den Wagen.
    Zu Jonas' Erstaunen fahren sie nicht zur Stasi-Bezirksverwaltung in die August-Bebel-Straße, sondern verlassen das Stadtzentrum in Richtung Norden. Hinter der Kunsthalle biegen sie nach links in das Wohngebiet Reutershagen ein und parken den Wagen in der August-Henck-Straße. Diese kurze Straße hat nur einen Wohnblock gegenüber einer Schule. Sie gehen im mittleren Eingang die Treppe hoch in die erste Etage. Auf dem Namensschild an der Wohnungstür steht: »R. Christ, Dipl.-Bauingenieur.«
    Der Fahrer überreicht ein Schlüsselbund. Jäger macht sich eine Weile mit verschiedenen Schlüsseln zu schaffen, ehe er das Sicherheitsschloss geöffnet hat.
    »Ich dachte, Sie heißen Jäger«, sagt Jonas und tippt beim Hineingehen auf das Namensschild.
    »Bitte nehmen Sie im Wohnzimmer Platz, Herr Maler. Ich lasse uns einen Kaffee machen.«
    »Danke, ich möchte nicht. Wenn ich rauchen dürfte ...«
    »Fühlen Sie sich wie zu Hause«, sagt Jäger und stellt einen Aschenbecher auf den Couchtisch.
    »Einen guten Moccafix werden Sie doch nicht abschlagen?« Jäger zieht eine goldbraune, knisternde Packung der besten Kaffeesorte der DDR aus seiner Jackentasche und reicht sie seinem Fahrer, der in der kleinen Küche verzweifelt etwas zu suchen scheint. Jäger entschuldigt sich für eine Minute und geht ebenfalls in die Küche. Die Tür lassen sie angelehnt. Von den getuschelten Gesprächsfetzen versteht Jonas nur einmal das Wort Filtertüten.
    Offensichtlich scheinen sich beide hier nur wenig auszukennen. Jonas inspiziert vom Sofa aus die Wohnung. Sie ist mit allen bescheidenen Spießbürgerlichkeiten eingerichtet, die die DDR-Möbelindustrie zu bieten hat: Schrankwand aus Spanplatten, Sitzecke zum Ausklappen, Couchtisch zum Hochkurbeln. Im Vitrinenteil der Schrankwand steht fein säuberlich aufgereiht eine Parade von Gläsern. Die wenigen sichtbaren Bücher drehen sich um das Bauwesen in der DDR und um Mathematik für Bauingenieure, daneben die roten Parteitagsbroschüren für SED-Genossen.
    So unbeholfen wie die zwei in der Küche hantieren, gehört garantiert keinem von beiden die Wohnung. Jonas fragt sich, ob hier das MfS unauffällig inmitten eines Wohngebiets eine ganz normale Wohnung für konspirative Treffen eingerichtet hat. Oder gibt es so unterwürfige Mieter, die, während sie ihrer Arbeit

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