Nur Engel fliegen hoeher
Behördensprechtag, bittet Jonas vom Redaktionstelefon aus um einen Gesprächstermin beim Rat der Stadt Rostock, Abteilung Innere Angelegenheiten.
Er sagt, es ginge um eine wichtige Reiseangelegenheit. Der Termin wird ihm gewährt.
In einem Nebengebäude hinter dem Rostocker Rathaus sind die Sprechzimmer der Abteilung Inneres. Hier werden auch die Ausreiseanträge bearbeitet. Keiner weiß, nach welchem Prinzip das funktioniert. Sehr wahrscheinlich besteht das System darin, dass kein System erkennbar sein soll. Manche Antragsteller auf Ausreise werden schon nach einem halben Jahr aus der Staatsbürgerschaft entlassen. Andere schmoren seit mehr als zehn Jahren - ohne eine Chance, jemals rauszukommen.
Jonas vermutet, dass die Abteilung Innere Angelegenheiten ein besonders sensibler Sicherheitsbereich der kommunalen Verwaltung ist und damit voll unter der Kontrolle des MfS stehen dürfte. Doch Jonas hat keinen Ausreiseantrag gestellt. Er will lediglich eine verbindliche Auskunft, ob er in die CSSR reisen darf.
Pünktlich zum Termin bittet ihn eine streng aussehende, etwa vierzig Jahre alte Frau in dunklem Kostüm in das Sprechzimmer. Es ist ein schmuckloser Raum, selbst das sonst in jedem Behördenzimmer hängende Honecker-Bild fehlt hier. Jonas wird gebeten, an einem Tisch Platz zu nehmen. Ihm gegenüber steht ein weiterer Tisch, hinter den sich die Frau setzt, die ihn hereingeführt hat. Vor ihr liegen ein Stenoblock und ein Kugelschreiber. Neben ihr sitzt ein kleiner, dickleibiger Mann mit kurzem lockigen Haar und einer goldumrandeten Brille, der Mitte dreißig sein könnte. Der kleine Dicke hat eine rosige Milchbubenhaut, guckt aber so finster und verkniffen aus seinem fetten Gesicht, dass man glaubt, für ihn sei das Leben eine einzige Folter. Zu seinen Füßen steht ein brauner lederner Diplomatenkoffer mit goldenem Zahlenschloss.
Jonas gibt der Frau die Hand und sagt: »Guten Tag, ich bin Jonas Maler.«
»Mein Name ist Krämer«, antwortet die Frau und reicht ihm die Hand.
Er hält dem kleinen Dicken die Hand hin und wiederholt die Begrüßung.
Der zuckt nervös mit den Augenbrauen und antwortet nur: »Guten Tag, Herr Maler.«
»Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen nicht verstanden«, sagt Jonas. Doch der Typ mit der Gold brille geht nicht darauf ein. Stattdessen sagt er: »Ihren Personalausweis hätte ich gern einmal gesehen.«
Jonas legt schweigend seinen Ausweis auf den Tisch.
Der Goldbebrillte blättert darin, während Jonas wieder ihm gegenüber Platz nimmt.
»Sie also sind Jonas Maler.«
»Ja, Herr...«
»Was führt Sie zu uns?«
»Ich hätte gern gewusst, ob ich besuchsweise in die CSSR reisen darf?«
»Herr Maler, sind Sie Bürger der Deutschen Demokratischen Republik?«
»Sie halten meinen Ausweis in der Hand.«
»Dann dürfte Ihnen bekannt sein, dass Bürger der Deutschen Demokratischen Republik bereits seit mehreren Jahren mit dem Personaldokument der Deutschen Demokratischen Republik die Staatsgrenze zur Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik visafrei passieren dürfen.«
»Ja, das weiß ich. Aber ich bekomme seit zehn Jahren kein Visum mehr für die anderen sozialistischen Länder wie Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Darum wollte ich mich bei Ihnen rückversichern, ob ich noch in die CSSR reisen darf.«
»Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass für die von Ihnen genannten sozialistischen Bruderländer ebenfalls visafreier Verkehr besteht und Sie lediglich eine Reiseanlage für den visafreien Verkehr benötigen.«
»Was nützt mir Ihr sogenannter visafreier Reiseanlage-Verkehr, wenn ich die Anlage zum visafreien Verkehr nicht erhalte und dadurch nicht visafrei reisen darf?«
»Dann überlegen Sie doch bitte einmal genau, woran es denn liegen könnte, dass die zuständigen staatlichen Organe in Ihrem Fall eine solche Entscheidung treffen müssen.«
Jonas kocht vor Wut. Aber er will sich nichts anmerken lassen. Er will zu Julia nach Prag. Er steckt die geballten Fäuste in die Jackentasche und bleibt ruhig.
»Ich wollte eigentlich keinen Antrag auf Genehmigung einer Urlaubsreise nach Ungarn, Rumänien oder Bulgarien stellen. Da aber bei den genannten Ländern offensichtlich ein Problem besteht, wollte ich mich bei Ihnen rückversichern, ob ich mit meinem Personalausweis besuchsweise in die CSSR ausreisen darf.«
»Ich sagte Ihnen bereits, dass gemäß den gültigen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik die Bürger der Deutschen Demokratischen
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