Nur Engel fliegen hoeher
Republik mit einem gültigen Personalausweis der Deutschen Demokratischen Republik visafrei in die CSSR reisen dürfen.«
»Und das gilt auch in meinem konkreten Fall?«
»Die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik gelten für alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik.«
Jonas merkt, dass er keinen Zentimeter weiterkommt.
»Ich bedanke mich für Ihre sehr fundierten Auskünfte. Darf ich bitte meinen Personalausweis der Deutschen Demokratischen Republik zurückbekommen?«
»Bitte sehr. Wir wünschen Ihnen eine gute Reise.«
»Auf Wiedersehen, Frau Krämer.«
»Tschüs, alles Gute.«
»Auf Wiedersehen, Herr - entschuldigen Sie, ich vergaß Ihren Namen.«
»Inneres, Zimmer 12 bis 24«, sagt der Goldbebrillte und zuckt wieder nervös mit den Augenbrauen.
»Auf Wiedersehen, Herr Inneres-Zimmer-Zwölf-bis-Vier-undzwanzig.«
Via Fred und Rentnerin Brügge verständigt Jonas Julia. Er schlägt vor, sich am Samstagabend gegen 18 Uhr in Prag im Hotel Europa am Wenzelsplatz zu treffen. Er war noch nie im Hotel Europa, weiß aber aus seiner Jugendzeit als Tramper, dass viele West-Touristen in Prag dort wohnen.
Jonas fährt morgens kurz nach fünf in Rostock los, damit er ausreichend zeitlichen Spielraum hat, falls es bei der Grenzkontrolle Probleme geben sollte. Er ist sich nicht sicher, ob man ihn tatsächlich die Grenze zur CSSR passieren lassen wird. Darum hat er nichts bei sich, was bei einer Personenkontrolle Misstrauen erwecken und als Vorwand genommen werden könnte, ihn nicht ausreisen zu lassen: kein Westgeld, keine westlichen Tonbandkassetten, kein Adressenverzeichnis. Im Wagen sind nur Autokarten, die in der DDR verlegt wurden und auf denen, wie üblich, das Grenzgebiet zur Bundesrepublik ausgespart ist.
Gegen elf passiert er Dresden und eine Stunde später reiht er sich in die Autoschlange vor dem Grenzübergang Zinnwald ein. Samstagmittag sind viele DDR-Autos in Richtung Prag unterwegs. Das ist ein gutes Zeichen. Ohne größere Kontrollen passieren die Reisenden die Grenze. Dazu muss jeder Wagen an ein kleines Fenster heranfahren, vor dem ein Grenzoffizier steht. Der Fahrer reicht die blauen DDR-Ausweise dem Grenzer, der vergleicht die Passbilder mit den Wageninsassen und schiebt dann die Ausweise in das kleine Fenster der Kontrollstelle. Danach darf das Auto ein paar Meter weiterfahren. Dort werden die gestempelten Ausweise aus einem zweiten Fenster zurückgegeben. Und ohne größere Zollkontrollen geht es flott weiter.
Jonas reicht seinen Personalausweis dem Offizier am ersten Guckloch. Der sieht das Foto und dann Jonas an, bedeutet ihm mit einer Handbewegung, dass er weiterfahren soll. Am zweiten Fenster wartet Jonas. Doch seinen Ausweis erhält er nicht zurück. Stattdessen kommt ein beleibter Offizier zu ihm und sagt freundlich, aber forsch: »Herr Maler, würden Sie bitte Ihren Wagen seitlich aus der Schlange herausfahren und dort rechts parken?«
Also doch eine Zollkontrolle? Jonas tut, wie ihm geheißen, und steigt aus.
Der dicke Grenzoffizier reicht ihm seinen Ausweis zurück und sagt: »Herr Maler, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie die Grenze nicht passieren dürfen. Bitte wenden Sie Ihr Fahrzeug und fahren Sie zurück in die DDR.«
»Wieso das? Ich bin DDR-Bürger und darf mit dem Personalausweis in die CSSR ausreisen!«
»Nein.
Sie
nicht!«
»Und warum?«
»Möglicherweise sind Sie in der CSSR eine unerwünschte Person.«
»Erzählen Sie mir keine Märchen. Ich war seit Jahren nicht mehr dort und ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen.«
»Klären Sie das bitte mit den zuständigen Staatsorganen an Ihrem Heimatort.«
»Ich habe mich bei der Abteilung Inneres in Rostock erkundigt, und mir wurde gesagt, dass ich wie jeder DDR-Bürger in die CSSR ausreisen darf.«
»Bitte machen Sie hier kein Theater und erregen Sie keine öffentliche Aufmerksamkeit. Sonst muss ich Sie festnehmen. Sie wenden jetzt auf der Stelle Ihr Fahrzeug und reisen zurück -ohne weitere Diskussion!«
Der Offizier stellt sich vor Jonas' Auto und schaut zu, wie er den Wagen wendet.
Jonas fährt bis zum Ortseingang von Dresden und dann über Nebenstraßen westwärts in Richtung Freiberg. In einem Dorf macht er einen Umweg durch kleine Seitengassen und beobachtet, ob ihm jemand folgt. Als er sich sicher fühlt, studiert er die Autokarte. Es ist kurz nach 13 Uhr, und er kann es noch schaffen, abends pünktlich in Prag zu sein. Er fährt nach Freiberg und dann über die
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