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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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Fernverkehrsstraße 101 in Richtung Südwesten nach Annaberg-Buchholz.
    Diese Fernverkehrsstraße führt parallel am Erzgebirge entlang, auf dessen höchstem Kamm die Grenze zur CSSR verläuft. In Annaberg-Buchholz geht er ein paar Schritte durch die Stadt, isst an einem Kiosk eine Bockwurst mit Brötchen und beobachtet wieder, ob ihm jemand folgt. Es ist niemand zu entdecken.
    Auf der F95 fährt er dann nach Süden in Richtung Oberwiesenthal, dem bekannten DDR-Wintersportort im Erzgebirge. In Oberwiesenthal parkt er sein Auto auf dem Markt, unmittelbar vor dem FDGB-Heim »Friedenswacht.« Würde er die Fernverkehrsstraße weiter bergauf fahren, käme er zum über 1000 Meter hohen Fichtelberg und dem höchsten Grenzübergang zur CSSR. Doch dort würde ihm das gleiche Schicksal widerfahren wie in Zinnwald.
    Auf dem zentralen Platz mitten in Oberwiesenthal parken mehrere Pkw aus verschiedenen Bezirken der DDR, sodass sein Wagen mit dem Rostocker Kennzeichen nicht auffallen dürfte. Er lässt seine Tasche im Auto und schließt ab. Vor etlichen Jahren, noch als Kind, ist er mit seinen Eltern hier in einem FDGB-Urlaub gewesen, das Heim »Friedenswacht« war damals ein Ferienobjekt der SED. Wem es heute gehört, weiß er nicht. Aus seiner Kindheit hat er noch in Erinnerung, dass gleich links neben dem Heim ein Wanderweg bergauf in Richtung Fichtelberg geht. Neben dem Wanderweg fließt ein Bach in einer Senke. Dieser Bach ist die Grenze zur CSSR. Damals gab es dort keinen Zaun oder dergleichen.
    Wenige Meter hinter den letzten Häusern des Ortes findet Jonas den Wanderweg und den Grenzbach. Er ist so schmal, dass man leicht hinüberspringen kann. Auf der tschechischen Seite verläuft eine schmale Autostraße parallel zum Ufer. Dahinter steht dichter Wald. Am DDR-seitigen Ufer warnen Schilder: »Halt! Staatsgrenze! Betreten und Befahren verboten!« Das ist alles. Er wandert am Bach entlang nach oben, um herauszufinden, ob es irgendwo einen besetzten Hochsitz der Grenztruppen gibt. Und er hält Ausschau nach Soldaten auf der tschechischen Seite. Die würden ihn genauso festnehmen und an die Stasi ausliefern.
    Jonas wandert wenige hundert Meter bergauf. Soweit er sehen kann, entdeckt er keinen Menschen. Das ist die Gelegenheit. Als er gerade kehrtmachen will, um seine Sachen aus dem Auto zu holen, zuckt er plötzlich vor Schreck zusammen. Hinter ihm stehen zwei DDR-Grenzsoldaten in Geländeuniform mit umgehängter MP.
    »Tach. Dürften wir mal Ihren Ausweis sehen?«
    »Ihr habt mir aber einen Schreck eingejagt.« Jonas reicht ihnen seinen blauen DDR-Personalausweis.
    »Jonas Maler aus Rostock. Welches Quartier?«
    »FDGB-Heim Friedenswacht.«
    »Entschuldige, Genosse, dann bist du ja einer von uns. Tut mir leid, wir tun hier nur unsere Pflicht.«
    Der Soldat reicht den Ausweis zurück und deutet einen kurzen militärischen Gruß an.
    »Wie weit geht der Grenzweg noch hoch? Bis zum Fichtelberg?«
    »Ja, ist aber ganz schön weit. Zwei bis drei Stunden läuft man bis oben.«
    »Seid ihr da sicher?«
    »Mehr als das. Wir dürfen jeden Nachmittag unsere Dienstwanderung da hoch machen. Das hält fit.«
    »Na, dann wünsche ich euch noch viel Spaß beim Wandern. Ich gehe wieder runter.«
    »Schönen Urlaub noch.«
    »Danke, tschüs.«
    Jonas wandert betont lässig zurück nach Oberwiesenthal. Gelegentlich dreht er sich um und sieht die beiden Grenzer, die weiter aufwärts gehen und immer kleiner werden.
    Er holt seine Tasche aus dem Auto und schlendert langsam zurück zum Grenzweg am Bach. Kein Mensch weit und breit. Mit einem Sprung setzt er über den Graben und hastet am tschechischen Ufer die Böschung hinauf. Er hängt sich seine Tasche um und wandert fröhlich pfeifend auf der Landstraße in Richtung Karlovy Vary.
    Nach zwanzig Minuten hört er ein Fahrzeug kommen. Endlich! Jonas winkt. Das Auto fährt langsam heran und blinkt. Um Gottes willen! Es ist ein Jeep der tschechischen Armee. Ein junger Mann in Uniform mit kurz geschorenen Haaren hält an und nimmt ihn mit. Jonas holt seine Autokarte hervor, zeigt auf die tschechische Hauptstadt und fragt: »Praha?«
    »Njet Praha«, sagt der Soldat und nennt einen Ort, dessen Namen Jonas kaum versteht, geschweige denn kennt. Er versucht, sich mit dem jungen Tschechen zu unterhalten, doch der kann weder ein Wort Deutsch noch Englisch. Jonas versucht es auf Russisch. Das müsste der Tscheche leicht verstehen, aber er entrüstet sich: »Po Russki? Njema!«
    Sie fahren durch mehrere

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