Nur für Schokolade
Zentrale und leiten sofort eine große Suchaktion ein. Die örtliche Rundfunkanstalt unterbricht ihre laufende Sendung und fordert die Bevölkerung auf, sich an der Suche nach dem Säugling zu beteiligen.
Nach einigen Minuten bereits hat man das Gefühl, die ganze Stadt sei auf den Füßen, um an der größten Suchaktion ihrer Geschichte teilzunehmen. Nun melden sich auch Zeugen bei der Polizei, die einen Mann in heruntergekommener und zerlumpter Kleidung mit einem Säugling im Arm gesehen 122
haben wollen. Ein Phantombild wird nach den Beschreibungen der Zeugen erstellt und sofort in allen Stadtteilen verteilt.
Nachdem sich das Verschwinden des Säuglings herum-
gesprochen hat, gleichen die Straßen einem aufgerissenen Ameisenbau. Viele, für die Mutter unendliche Stunden später, gegen 17.30 Uhr, wird der Kinderwagen bei einem großem Wohnhaus gefunden. Er ist leer. Entsetzt suchen die Leute noch einmal die ganze Siedlung ab, aber wiederum vergebens.
Doch die Bewohner der Stadt geben nicht auf, auch die Polizei unternimmt alles, was in ihrer Macht steht, dieses kleine Lebewesen zu finden. Man weiß, der Säugling braucht
Nahrung, wie soll er sonst überleben?
Die Mutter hofft noch, daß eine verrückte Frau, die selbst kein Kind bekommen kann, ihr Baby entführt hat, doch die Zeugenaussagen sprechen klar dagegen. Und auch den
beschriebenen Mann findet man nicht. So sehr man auch sucht, das Baby bleibt verschwunden, der Verdächtige ebenfalls.
Zwei Tage später, für die Eltern des Säuglings die längsten Tage ihres Lebens, macht ein junger Mann zufällig eine erschütternde Entdeckung. Durch das Fenster eines verlassenen, verfallenen Hauses sieht er einen am Boden liegenden leblosen Säugling. Er verständigt sofort die Polizei.
Als die Beamten den halbnackten Säugling sehen, wissen sie sofort, daß jede ärztliche Hilfe zu spät kommen würde. Man verständigt dennoch einen Arzt, der aber nur den Tod
feststellen kann. Um absolut sicher sein zu können, daß es sich bei dem aufgefundenen Kind um das gesuchte handelt, bringt man in der Zwischenzeit den Vater an den Fundort. Der Streifenwagen fährt vor, die Wagentür öffnet sich. Ein gebrochener Mann, dem die Tränen über das Gesicht laufen, verläßt das Auto und wird zu der Ruine gebracht, in der das tote Kind liegt. Ein Nicken verrät allen Umstehenden, daß dieser Vater gerade sein getötetes Kind gefunden hat. Sofort bemüht sich ein Arzt um ihn. Die Leiche des Kindes bringt 123
man weg von diesem grausigen Ort.
Nach Spuren kann man nicht mehr suchen, zu viele Leute haben die Ruine inzwischen betreten. Die Polizei hat es versäumt, den Fundort sofort abzusperren.
Bei der Obduktion der Leiche stellt sich heraus, daß der Säugling brutal vergewaltigt worden ist. Als Todesursache wird jedoch Unterkühlung festgestellt und da der
Verdauungskanal des Kindes absolut leer ist, kann auch Verhungern nicht ausgeschlossen werden. Die örtliche Presse will in diesem Fall mehr erfahren. Nur der Besonnenheit der Polizei und der Staatsanwaltschaft ist es zu verdanken, daß keine weiteren Details veröffentlicht wurden. Ein Jahr und zehn Monate später wird Leszek Pekalski verhaftet und im Laufe der Untersuchungen gegen ihn stößt man auf den Mord an Marta. Nachdem die Zeugen damals ausgesagt haben, daß sie einen Mann mit zerlumpter Kleidung gesehen hatten, der das kleine Kind wahrscheinlich entführt hat. ordnet man Leszek Pekalski auch diesen Fall zu. Da er zunächst leugnet, wird eine Gegenüberstellung mit einer der Zeuginnen
herbeigeführt, die damals den Verdächtigen mit dem Kind genau gesehen haben will.
»Ja, das ist der Mann in der grünen Jacke mit Kapuze. Er trug das Kind auf dem Arm«, so die spontane Feststellung der Zeugin, als sie Leszek Pekalski sieht. Keinen Augenblick hat sie gezögert, ihn aus insgesamt vier vorgeführten Männern wiederzuerkennen. Ihre Erinnerung geht soweit, daß sie angibt:
»Aber der Mann hat sehr zugenommen, er war damals viel schlanker.«
Leszek hat in der Zwischenzeit im Gefängnis durch den Verzehr der vielen Schokolade 20 Kilogramm zugenommen.
Auch eine grüne Jacke, wie von der Zeugin beschrieben, wird bei der Durchsuchung seines Zimmers gefunden. Diese Zeugin, eine Ärztin, trägt eine Brille mit starken Gläsern. Pekalskis Anwälte erreichen schließlich, daß man ihre Aussage vor 124
Gericht nicht zur Kenntnis nimmt – es könne nicht als sicher angesehen werden, daß sie ihre Brille damals auch
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