Nur für Schokolade
Mariola wohnt, offen steht. Er drückt auf den Lichtschalter, betritt den Hausflur und findet am Boden eine Damenhandtasche und einen Plastikbeutel. Während er die Gegenstände aufhebt und betrachtet, sieht er sich im Hausflur um, doch er kann nichts Verdächtiges oder Außergewöhnliches entdecken. Als er die Tasche öffnet, sieht er den Ausweis von Mariola S., die er gut kennt. Er weiß, die mollige junge Frau geht sehr oft abends in das nahegelegene Cafe, in dem auch er des öfteren verkehrt. Er nimmt Plastikbeutel und Tasche unter den Arm und will sie im Cafe abgeben. Er ist sich sicher, daß sich Mariola auch heute wieder dort aufhält. Im Cafe angekommen, sucht er nach ihr, doch sie ist nicht da. Er spricht mit dem Ober, der ihm 115
bestätigt, daß Mariola zwar an diesem Abend vorbeikommen wollte, aber bisher noch nicht erschienen ist.
»Schau ich eben auf meinem Rückweg noch einmal vorbei, sicher ist sie dann schon gekommen«, sagt er zu dem Ober und geht wieder weiter auf Streife. Während seines Rundganges läßt es ihm aber keine Ruhe, wie Mariola S. ausgerechnet im Hausflur ihre Tasche verlieren kann. Er findet dafür keine Erklärung und glaubt, daß Mariola dies schon aufklären wird.
»Da verlange ich aber einen dicken Kuß als Finderlohn«, denkt er und freut sich schon ein wenig darauf. Als ihn sein Weg nach einigen Stunden wieder zum Cafe führt, stellt er aber enttäuscht fest, daß Mariola S. noch immer nicht aufgetaucht ist.
»Ich glaub, die hat einen neuen Freund«, verkündet der Ober dem Polizisten hinter vorgehaltener Hand.
»Diese Weiber!« mit diesen Worten verabschiedet sich der Polizist und geht zurück zu seinem Revier.
»Soweit haben wir’s schon gebracht, daß wir jetzt den Fräuleins die Handtaschen nachtragen müssen«, flachst er mit seinem Kollegen, der mit ihm Nachtdienst hat.
»Morgen Mittag, wenn ich in der Nähe bin, gebe ich sie ihrer Mutter«, mit diesem Satz ist für ihn die Angelegenheit vorerst beendet, aber nicht ohne noch lachend festzustellen:
»Den Kuß kann ich mir dann ja bei der Mutter abholen.«
Der Hausmeister des Hauses, in dem Mariola wohnt, ist am nächsten Morgen besonders früh unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschrickt, als er im Hausflur einen Seitengang betritt und eine Frau am Boden liegen sieht. Ihr Gesicht kann er wegen des vielen Blutes nicht erkennen. Aber die Kleidung, die weit verstreut umher liegt, kennt er sehr gut.
Die weiße Kaninchenjacke und das geblümte Kleid hat er sofort erkannt. Diese Jacke gehört Mariola, einer Mieterin des Hauses. Der Körper liegt völlig nackt auf dem kalten Fliesenboden, die Unterwäsche der Frau liegt zerrissen und
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blutverschmiert in einer Ecke. Wie gelähmt starrt der Hausmeister auf den Körper dieser Frau, die er so gut kennt. Es dauert einige Zeit, bis er sich wieder im Griff hat und laut schreit: »Hilfe, so kommt doch, die Mariola ist ermordet worden!«
Er ist verzweifelt. »Hört mich denn keiner!« – doch es dauert lange, bis sich die erste Tür öffnet und ein Mann über das Treppengeländer nach unten ruft: »Was schreist du denn in aller Herrgottsfrühe so, bist du denn übergeschnappt?«
»Komm runter, schnell, die Mariola liegt hier unten.
Schnell!«
Erst jetzt bemerkt der Mieter, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein muß, denn so nervös kennt er den Hausmeister nicht. Mit dem Satz, daß »Mariola dort unten liegen« würde, kann er zwar zunächst nichts anfangen, doch er stapft in Schlafanzug und Hausschuhen schließlich die Treppen zum Erdgeschoß hinunter. Mariola. Er kennt sie, schon als kleines Kind. Sie ist lebenslustig, nett, liebenswürdig. Es verschlägt ihm die Sprache, als er sie vor sich liegen sieht. Vorsichtig nimmt er die Kaninchenjacke vom Boden und deckt Mariola damit notdürftig zu. Die beiden Männer sehen sich wortlos an und begreifen zunächst gar nicht, was sie sehen.
»Hoffentlich hat dich Mariolas Mutter nicht gehört!« sagt der Mieter dann stockend. Da sich außer ihm niemand im Haus meldet, scheint es, als hätte wirklich nur er die Schreie des Hausmeisters gehört. Sie rufen die Polizei. Mariola wird von einem Leichenwagen weggebracht. Die Mutter mußte nicht mitansehen, wie man ihr totes Kind aus dem Haus brachte.
Der Pathologe der Gerichtsmedizin stellt nach seiner
Untersuchung fest: Mariola hat schwerste Kopfverletzungen, hervorgerufen durch ständiges Schlagen des Kopfes auf den Fliesenboden sowie Prellungen und
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