Nur für Schokolade
noch in dieser Verhandlung gegen Sie Straf-anzeige wegen vorsätzlicher eidlicher Falschaussage stellen.
Ich warne Sie daher davor, weiter bei Ihren Lügen zu bleiben!«
Auch der Richter scheint sich mittlerweile den Aus-
führungen des Staatsanwaltes anzuschließen: »Frau Zeugin, Sie haben verstanden, was Ihnen der Staatsanwalt vorgeworfen hat.
und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß, falls Sie uns hier nicht die Wahrheit sagen, wir die Maßnahmen des
Staatsanwaltes unterstützen werden. Daher noch einmal meine Frage: Waren Sie mit Ihrer Freundin Sylwia an diesem
Waldrand und haben dort dem Bettler Brote gebracht oder nicht? Überlegen Sie gut.«
»Nein, ich bin an diesem Tag nach der Arbeit sofort nach Hause gegangen und war nicht mit Sylwia am Waldrand.«
»Gut, dann nehme ich diese Aussage zur Kenntnis. Sie
können gehen. Sie sind entlassen. Bitte, Frau Protokollführerin, nehmen Sie die Aussage im Protokoll auf. Damit ist die Sitzung für heute beendet.«
Der Staatsanwalt steht auf und schüttelt den Kopf, als die Zeugin Richtung Ausgang an ihm vorbeigeht. Er kann seine Enttäuschung, seine große Wut nicht verheimlichen – die 183
Niederlage spiegelt sich deutlich in seinem Gesicht wieder.
Noch am selben Tag arbeitet der Staatsanwalt eine
Anklageschrift gegen Janina aus. Er weiß, er hat nur wenig Zeit, will er die Zeugin als Angeklagte vor Gericht bringen.
Bereits am darauffolgenden Tag meldet er sich beim zu-ständigen Richter an und legt seine Unterlagen vor. Sicherlich hat es noch nie zuvor ein Staatsanwalt in Polen zustande gebracht, einen Gerichtstermin innerhalb weniger Tage nach Einreichung der Anklageschrift zu erhalten.
Überraschend erhält Janina deshalb auch für den 8.
November 1996 eine Ladung des Gerichts, vor das sie wegen eidlicher Falschaussage zitiert wird.
Die nächsten Tage verlaufen zunächst ergebnislos für die Staatsanwaltschaft. Kein Zeuge ist bereit, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszusagen, Leszek Pekalski in der Nähe eines Tatortes gesehen zu haben.
Noch einmal wird der Gerichtspsychologe Dr. Jozef G. in den Zeugenstand gerufen. Seine Ausführungen:
»Leszek Pekalski geht es offensichtlich um eine totale Dominanz über sein Opfer, er will die totale Macht. Denn nur diese Macht macht es ihm möglich, sein Opfer uneingeschränkt für seine Zwecke zu gebrauchen. Vorausgesetzt, er trifft auf keinen Widerstand.«
Auch Dr. Dr. Janusz H., der psychiatrische Gutachter, der Leszek Pekalski untersuchte, kommt zu Wort:
»Leszek Pekalski wurde immer wieder von Frauen
abgewiesen. Die Möglichkeit, sich auf einem ganz normalen Wege zu befriedigen, war für ihn nicht gegeben. Die Entwicklung Leszeks und seine Außenseiterrolle geht vor allem auf seine reduzierte Gefühlswelt zurück. Er hatte nie gelernt, positive Emotionen zu erleben. Wie zum Beispiel die Liebe von anderen Menschen, die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen. Sympathie und andere emotionale Gefühls-184
zustände kannte er nicht. Dieser Mangel ist einer der schwerwiegendsten.«
In der Zwischenzeit ist auch das Interesse der polnischen Presse an diesem Fall wieder gestiegen. In großen Lettern wird auf den Termin hingewiesen, an dem Janina vor Gericht zu erscheinen hat. So ist es nicht verwunderlich, daß an diesem Tag die Zuhörerplätze überfüllt sind. Es gibt auf den Gängen nur ein Thema: Wird Janina heute die Wahrheit sagen oder bei ihrer Aussage bleiben?
Durch ein Spalier Neugieriger wird sie als Angeklagte von einem Polizeibeamten zur Saaltür geführt. Ihr Vater folgt ihr mit gesenktem Kopf in geringem Abstand. Diesmal nimmt Janina nicht am Zeugenstand Platz, sondern sie setzt sich auf den Stuhl, auf dem noch Tage zuvor Leszek Pekalski saß. Auch ihn hat man zum Gerichtsgebäude gebracht und er verbringt schon einige Zeit in einer Verwahrzelle im unteren Stockwerk.
Die beiden Polizeibeamten, die damals Janina vernommen haben, sitzen auf der Zeugenbank und warten auf ihren Auftritt.
»Ruhe, Ruhe« ruft die Protokollführerin in den Saal und kündigt das Gericht an. Die Richter erscheinen und alle im Saal erheben sich. Noch einmal muß der Vorsitzende die Zuhörer zur Ruhe ermahnen, bevor der Prozeß beginnen kann.
Nachdem der Staatsanwalt die Anklageschrift verlesen hat, wendet sich der Vorsitzende an die Angeklagte.
»Angeklagte. Sie haben die Ausführungen des Staats-
anwaltes gehört. Sie müssen sich dazu nicht äußern, oder wollen Sie sich dazu
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