Nur für Schokolade
der Anwesenden versteht. Leszeks Betreuer nimmt die Dolmetscherin bei der Hand, und nachdem er ihm ein Paar Worte zugerufen hat, gehen sie weiter.
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Sie kommen in einen circa siebzig Quadratmeter großen Raum, in dem das Interview stattfinden soll. Beim Eintreten sind bereits auf einem Tisch an der linken Seite fünf Plastiktüten aufgereiht, in denen sich die von Leszek gewünschten Sachen befinden. Diese hat er frühzeitig mitgeteilt, so daß der Einkauf rechtzeitig erledigt werden konnte. Der Einkaufszettel war zwar nicht kurz, gab dem TV-Team aber die Sicherheit, daß Leszek ein Interview vor laufender Kamera geben werde.
An erster Stelle des Wunschzettels, wie immer, viele Tafeln Schokolade – und Zahnpasta, die nur von einem deutschen Hersteller sein durfte. Lebensmittel, die im Gefängnis nicht zu kaufen sind, waren weitere Bedingungen – und natürlich Pornohefte.
Es widerstrebte allen Beteiligten, dieser Kreatur auch noch Geschenke zu machen, doch um ihr Ziel zu erreichen, waren 202
diese Geschenke nur Mittel zum Zweck. Zwischenzeitlich hatten das Kamerateam und der Redakteur in einer Ecke einen Tisch mit der Schokolade und den Pornoheften aufgebaut, daneben einen Stuhl, auf dem Leszek Platz nehmen sollte. Alle Scheinwerfer waren auf diesen Stuhl justiert und die Kamera eingestellt. Wenige Meter daneben ein Tisch mit drei Stühlen für die Dolmetscherin, Leszek und dem Organisator. Es war vereinbart, daß sich dieser vor laufender Kamera mit Leszek unterhält. Viele Fragen hat er vorbereitet. Die Dolmetscherin macht sich noch einmal vertraut mit dem, was er von Leszek erfahren will, dann wird ein Diktiergerät aufgestellt.
»Haben Sie Angst vor Leszek, dann lasse ich ihn in
Handschellen vorführen?« fragt der Betreuer Zbigniew S.. Die Antwort ist gelogen, als der Redakteur »Nein« sagt, doch er glaubt, daß es besser sei, ihn nicht so vorführen zu lassen.
Zwischenzeitlich kommt auch der Leiter der Vollzugsbeamten und dessen Anwesenheit gibt dem Team Sicherheit.
Beide Beamten, der Betreuer und der Leiter des Vollzuges, nehmen in einer Ecke Platz, und das ist für das Trio das Zeichen, daß Leszek in Kürze vorgeführt wird. Nervös
überprüft der Kameramann zigmal seine Beleuchtung, den TV-Redakteur hält es nicht auf dem Stuhl und auch der vorn sitzende, spätere Interviewer Leszeks ist so nervös, daß er ständig nach dem Diktiergerät schaut und dessen Funktions-fähigkeit überprüft. Alles wartet gespannt auf den größten lebenden Massenmörder, Leszek Pekalski.
Da öffnet sich die Tür und zwei Beamte in Uniform führen Leszek herein. Sichtlich nervös blickt er auf die einge-schalteten Scheinwerfer, doch als er die Einkaufstüten sieht, gilt sein ganzes Interesse nur noch deren Inhalt. Genauestens überprüft er, ob all seine Wünsche erfüllt worden sind, und als er feststellt, daß sogar die Pornohefte vorhanden sind, geht er sichtlich zufrieden auf den Redakteur zu und begrüßt ihn.
Sofort nimmt er das Gespräch in die Hand und sagt: »Ich freue 203
mich, Sie endlich nicht im Gerichtsgebäude zu treffen, den Mann, der ,mein’ Buch schreibt.«
Noch nie in seinem Leben war der Angesprochene so froh, eine Dolmetscherin für ein Gespräch zu benötigen, wie in dieser Sekunde – denn er bringt zunächst kein Wort hervor, trotz aller Vorbereitungen. Ihm ist klar: Leszek ist bekannt, daß niemand mehr über seine Tatenweiß als er, zu lange hat er dessen Lebenslauf und Geschichte recherchiert. Selbstsicher setzt sich Leszek auf den für ihn vorbereiteten Stuhl und antwortet sorglos auf all die Fragen, die sein Gegenüber vorbereitet hat. Selbstsicher, schlau und verschlagen sind seine Antworten – und genauestens einstudiert.
Doch jetzt will man mehr von ihm wissen als all das, was er vor Gericht wie auswendig gelernt ausgesagt hat. Er weiß nicht, wie weit diese Leute mit seiner Lebensgeschichte bereits sind, als er fragt: »Sie schreiben doch die Wahrheit über mich, oder?«
»Ja.«
»Ich glaube Ihnen. Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, wenn auch nicht gleich, wegen des Gerichts. Aber nach meiner Verurteilung.«
Wenn man diesem Menschen das erste Mal auf engstem
Raum gegenübersitzt, ist es ein eigenartiges Gefühl, ein Mann, der einen erschreckt und zugleich ein einfältiger Mensch ist, dem man nur Mitleid entgegenbringen kann. Mitleid, das man jedoch nicht haben darf, wenn man weiß, daß dieses entgleiste Gehirn virtuos gespielt hat auf einem grauenhaften
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