Nur für Schokolade
kleinen Tisch zwischen den beiden Betten unter dem Gitterfenster liegt, ordentlich gefaltet, die aktuelle Tages-zeitung. Daneben: zwei Kugelschreiber und eine Armbanduhr mit schwarzem Lederarmband. Unter der Zeitung befindet sich ein Bild, das Leszek mit einem Kugelschreiber gemalt hat. Es zeigt Fratzen, abscheuliche, dämonisch wirkende Fratzen.
Abbildungen seiner Angst? Hat dieser Mann irgendwelche Ängste? Beim oberen Bett, das von Leszek benutzt wird, sind –
säuberlich wie bei einem Militärbett – die Laken und Wolldecken gerichtet. Auch der kleine offene Wandschrank ist ordentlich eingeräumt: ein Zahnbecher mit Bürste, ein Kamm und eine Rolle Toilettenpapier. Auffallend sind dabei die vielen Seifen. Sauber sind sie in einer kleinen Nische aufeinandergestapelt. Das untere Bett, in dem Roman seine 130
Tage mit Leszek verbrachte, ist nicht mehr belegt. Leszek bewohnt die Zelle alleine. Der Wärter versperrt die Zelle 53
und führt das Team nach nebenan. Hier befindet sich die kleine Kapelle des Gefängnisses, in der sich Leszek so gerne aufhält, wie der Gefängnisdirektor erzählte. In einem dezent gelb getünchten Raum steht ein Holztisch mit roter Decke, der den Altar bildet. Das vergitterte Fenster ist mit christlichen Motiven bemalt. Ein großer, gekreuzigter Jesus beherrscht diesen Raum. Ministrant wollte Leszek einmal werden, fällt einem der Anwesenden ein, doch der Pfarrer warf ihn lachend hinaus. Glaubt Leszek Pekalski an einen Gott? Zu wem mag er hier beten, wer könnte ihn, der vermutlich so vielen Menschen das Leben genommen hat, wohl erhören? Die sich anbahnende Unterhaltung wird von der Mitteilung unterbrochen, daß Leszek in der Anstalt angekommen ist. Die Standuhr zeigt 16
Uhr, als ein Wärter das Büro des Direktors betritt und mitteilt, daß Leszek vorgeführt wurde und sich nun in einer Wartezelle 199
befindet. Aufgeregt sucht das Filmteam Kameras und Taschen zusammen und folgt dem Beamten. Der Begleiter der
Filmleute, der auch für die Drehgenehmigungen sorgte, wird vom Direktor zurückgehalten. Ihm zeigt er die Polizeiakte des Leszek Pekalski. Ein Foto, gemacht, als er eingeliefert wurde, zeigt einen schlanken, hageren, ungepflegten Mann mit dunkler Hose und einem blauen Pullover. Er hat nur sehr wenig Ähnlichkeit mit dem heutigen Leszek. Beachtenswert sind die stechenden Augen auf diesem Foto; den Blick hat er
offensichtlich verloren durch die Gewichtszunahme von dreißig Kilogramm.
»Herr Direktor, ich hätte noch eine große Bitte«, fängt der Besucher vorsichtig zu sprechen an, nachdem er bemerkt hat, wie wohlgesonnen der Direktor ist.
»Ich hätte gerne die Kleidung, die Leszek jetzt trägt. Sehen Sie eine Möglichkeit, daß ich sie bekommen könnte?«
»Wenn Leszek sie Ihnen gibt, ist dies kein Problem. Aber er braucht dann andere Kleidung, er kann ja wohl nicht nackt hier herumlaufen.«
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»Natürlich bin ich bereit, ihm neue Kleidung zu kaufen. Was glauben Sie denn, was er gerne möchte?«
»Einen Jogginganzug, aber den mit den drei Streifen, das ist hier die große Mode, da überläßt er Ihnen alles.«
Wichtig ist ihm noch folgendes: »Den Anzug müssen Sie dann aber gleich kaufen lassen!«
Der Besucher zückt seinen Geldbeutel, der Einkauf ist organisiert.
»Ich sage den Beamten Bescheid, damit Sie keine
Schwierigkeiten haben.«
»Was machen wir, wenn Leszek nicht mit uns reden will?«
fragt der Besucher noch und bekommt darauf auch gleich eine verblüffende Antwort:
»Wenn er sich weigert, mit Ihnen zu sprechen, lassen Sie mich rufen, dann spricht er schon. Der Betreuer von Leszek kommt gleich zu mir und wird Sie zu ihm begleiten. Angst brauchen Sie vor Leszek nicht zu haben, er ist sehr brav hier«, gibt der Direktor noch mit auf den Weg – einen Weg, den die Besucher wohl nie in ihrem Leben vergessen werden.
Nur wenige Meter vom Büro des Direktors entfernt, befindet sich auf der linken Seite des Ganges eine leere Zelle ohne Tür, dafür aber mit dicken Gitterstäben versehen. In dem düsteren Raum dahinter befindet sich eine Gestalt, die an die Gitter eilt, als das gesamte Team vorbeigeht. Sie ruft, sie schreit, doch die Dolmetscherin ist zu erschrocken, als daß sie übersetzen könnte. Verwirrt bleiben alle stehen, als der Mann direkt hinter den Gitterstäben auf sich aufmerksam macht. Sie erkennen Leszek Pekalski.
Mit beiden Händen umfaßt er die Stäbe und ruft immer
wieder dieselben Worte, angsteinflößende Worte, weil sie keiner
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