Nur Fuer Schokolade
darauf führte ich es zurück. Meine Familie interessierte Leszek sehr. Ich fand heimliche Notizen von ihm, wo er meine Adresse und die Namen meiner Frau und meiner Kinder notiert hatte. Du bist einer der ersten, die ich besuchen werde sagte er einmal, aber wie er das meinte, weiß ich bis heute nicht. Allein der Gedanke ließ mich nächtelang nicht schlafen. Heute weiß ich, sollte Leszek je wieder freikommen, egal auf welche Art, er würde sein Versprechen einhalten.«
Auf die Frage, ob Leszek ihn wohl mochte, antwortete Roman: »Wahrscheinlich, ich denke schon. Während der langen Zeit, die wir zusammen verbrachten, kamen wir uns immer näher. Hätte er all diese schrecklichen Dinge nicht angestellt, hätte er für mich ein Freund werden können. Als ich ihm das Gefühl vermittelte, daß es nicht seine Schuld wäre, sondern seine Kindheit und die Umstände seines Heran-wachsens, stand er eines Tages demonstrativ auf und sagte zu mir: Du bist mein bester Freund. Aber darauf konnte ich ja nicht stolz sein. Er ließ sich den selben Oberlippenbart wachsen, so wie ich ihn trug. Er wusch sich, ging nie ohne geputzte Schuhe aus der Zelle, er begann sogar, sich zu pflegen. Auch mir putzte er die Schuhe. Aber ich kann es nicht ertragen, wenn mir jemand meine Schuhe putzt. Ein paarmal habe ich ihn deshalb ausgeschimpft, aber es half nichts – er sah alles als sein Eigentum an. auch meine Schuhe, auch wenn sich das dumm anhört. Niemals habe ich verstanden, warum er dies tat, ob er sich bei mir einschmeicheln wollte, ich weiß es nicht.
Heute muß ich sagen, als Leszek begann sich zu pflegen, sogar seine Wäsche reinigen ließ, begann ich ihn zu mögen. Meist war er sogar sehr rücksichtsvoll zu mir. Er lag den ganzen Tag mit seinem Kopfhörer auf seinem Bett und hörte Musik. Wenn ich nicht in der Zelle war, machte er die Musik so laut er nur konnte, wenn ich zurückkam, stellte er sofort leise. Er begann sogar zu fragen, ob er den Fernseher anmachen dürfe. Er begann, sehr höflich zu mir zu sein. Wir waren uns meist einig, welche Sendungen wir uns anschauten. Leszek sah gerne,Glücksrad’ (die polnische Version). Naturfilme und Horror-filme mochte er genauso wenig wie Kriminalserien.
Kriminalfilme erregen mich sehr, sagte er immer. Ich erinnere mich noch sehr genau an eine ,Glücksrad’-Sendung, als Leszek wieder einmal die Lösung vor den Kandidaten wußte. Die sollen die Sendung in der Zelle mit dir aufnehmen, du weißt viel mehr als die, sagte ich zu ihm, und er freute sich sehr. Leszek war sich bewußt, daß er meine Hilfe brauchte. Das spürte ich.
Im Dezember 1993 sollte ich meine Verhandlung haben, worauf wir beide uns sehr freuten, wir waren überzeugt, daß ich die Verhandlung als freier Mann verlassen würde. Leszek freute sich darauf, da ich versprach, ihm zu helfen, wie wir es vereinbart hatten. Am Morgen vor dem Prozeßbeginn gab mir Leszek fünf Tabletten, damit ich ruhig meine Verhandlung überstehen könnte. Er hatte sie aufgespart für mich. Er täuschte den Beamten vor, daß er sie schlucken würde, behielt sie aber in der Handinnenfläche. Er mußte drei Beruhigungstabletten, die er täglich bekam, unter Aufsicht einnehmen. Leszek sagte zu mir: Daß du ruhig bleibst, deine Verhandlung gewinnst, freikommst und mir von draußen helfen kannst. Heute glaube ich, daß Leszek ein großer Egoist ist. Deshalb gab er mir auch die Tabletten.«
Warum redet Roman über Leszek, als sei dieser ein normaler, psychisch gesunder Mann? Seine Antwort: »Weil er nicht dumm ist. – Vielleicht hat er psychische Störungen, aber er ist gerissen, gewieft, er ist sehr clever, pfiffig, gewandt, durchtrieben und hat Sinn für das Praktische. Als Kind stempelte man ihn als Dorfdeppen ab und dies war sehr bequem für ihn. Viele hatten Mitgefühl mit ihm und halfen ihm. Er machte nur, was er wollte. Er war stets unsauber und hungrig. Alle sagten zu ihm: Armer kleiner Lesio. Damit erreichte er sehr viel. Und: er ist immer höflich und zuvor-kommend. Vor den Beamten in Slupsk machte er sich selbst lächerlich, weil er genau merkte, sie glauben ihm, nehmen ihn aber nicht ernst. Die verhörende Polizistin nahm ihn sogar vom Arrest zum Büro des Staatsanwaltes ohne jegliche Sicherheits-maßnahmen mit. Sie fuhr mit ihm im Personenwagen. Leszek allein auf dem Rücksitz und ohne Handschellen. Ein Wunder, daß er nicht entkommen ist.
Sie glauben, er gibt alles zu, weil er so dumm ist und weil ihm sowieso schon alles egal ist.
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