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Nur Gutes

Titel: Nur Gutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Koch
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ihnen erfreut. Ich blätterte durch das Buch, alte gelbe Seiten, an manchen Stellen braun, mit Tinte beschmiert, ich sah die Schülerschrift meines Vaters Albert, eine Randbemerkung: Wenn ich wünschen könnte, dann dieses Aquarium hier (mit Mischbettfilter), aber ich kann nicht wünschen.

6 Anemone
    Den Nordbahnhof von Aberwald erreichte ich um zehn vor zwölf, zur vorgesehenen Zeit. Ich stieg aus dem Regionalexpress, den Christstollen in einer Tüte aus Plastik, und sah mich nach meinen Eltern um. Ich ging bis ans Ende des Zugs, wo sie, wenn sie mich holten, üblicherweise warteten, ich sah sie nicht, ging zurück, kaufte im Blumenladen drei rote Rosen für Mama, wartete, bis sie kämen.
    Ich rief an.

    Dagmar bückte sich zum Apparat.
    ‹Das weiß ich selber, Simon›, sprach sie in den Hörer.
    ‹Nein, dein Vater! So hatten wir es abgemacht. Aber er ist noch drüben, keine Ahnung, weshalb.
    Ja.
    Tut mir leid, Simon.›

    ‹Simon!›, sagte Dagmar und sah zu Anna. ‹Er nimmt ein Taxi.›
    Sie sah zur Uhr.
    ‹Der Gottesdienst dauert vierzig Minuten. Länger nicht. Allerdings, wenn in der Woche zuvor ein Begräbnis war,möchten sie noch reden. Das dauert. Aber doch nicht bis zwölf.›
    Anna stand vom kurzen Sofa auf und trat, den Rucksack in der Hand, ans Fenster, wich langsam zurück.
    Nun sähe sie Simon wohl doch noch, nach sechzehn Jahren wieder, sagte Dagmar.

    Die Tür ging.
    Dagmar hörte Alberts Atem, schwerer als sonst, sie hörte, wie er den Mantel an einen Bügel hängte, den Bügel an den Haken im Flur, lauter und entschlossener als sonst. Jetzt schmeißt er sie raus -

    Jetzt bin ich seine Gefangene, dachte Anna.

    ‹Simon kommt im Taxi›, zischte Dagmar, ‹vorhin rief er an, Simon nimmt ein Taxi.›
    Albert setzte sich auf seinen Stuhl an seinen Platz am hellen Tisch, er legte die Brille aufs Holz, die Brille war beschlagen, er fuhr sich übers Gesicht.
    ‹Ich konnte nicht früher. Da draußen.›
    ‹Jetzt ist es fünf nach zwölf. Wir haben Simon versprochen, ihn abzuholen, entweder du oder ich. So war die Abmachung. Und dann, mit Verlaub, verschwatzt du da drüben die Zeit.›
    ‹Dann hättest ja du fahren können.›
    ‹Und Anna hier sitzenlassen.›
    Albert sagte, Haus, Kirche, Friedhof, das halbe Viertel sei umstellt.
    Umstellt womit, fragte Dagmar.
    ‹Ich hätte nicht kommen sollen›, sagte Anna, den Rucksack vor dem Bauch. ‹Ich wollte euch keinen Ärger machen. Auch Vaters Grab hätte ich nicht besuchen sollen. Ich war eingeschlafen.›
    ‹Wer hat was umstellt?›, fragte Dagmar.
    ‹Schau aus dem Fenster, nichts als Polizei da draußen›, sagte Albert und legte die Hände flach aufs Holz. Dagmar trat ans Fenster.
    ‹Sogar mit Hunden sind sie da. Was ist passiert?›

    Das müsste man Anna Baumer fragen -

    ‹Ich gehe›, sagte Anna.
    ‹Man lässt niemanden aus dem Haus, man lässt niemanden hinein. Nur weil ich Pastor bin und hier wohne, ließen sie mich überhaupt ins Haus. Den Ausweis wollten sie haben, meine Fingerabdrücke, die Schlüssel der Kirche.›
    ‹Ich gehe›, sagte Anna.
    ‹Frau Baumer, man lässt Sie nicht raus›, sagte Albert.
    ‹Ich hätte nicht kommen dürfen.›
    ‹Allerdings›, sagte Albert und klopfte mit den Händen aufs Holz.
    Aber Anna sei nun mal hier, sagte Dagmar, Simon werde sich freuen, sie zu sehen, nach so vielen Jahren.
    ‹Sie lassen keinen hinein und keinen hinaus, Dagmar,vergiss es, Simon wird nicht kommen. Und Anna kann nicht weg.›
    ‹Ja›, sagte Anna.

    Und jetzt? -

    ‹Der Braten ist jetzt gar›, sagte Dagmar leise.
    ‹Der Braten, Herrgott, Dagmar, der Braten ist jetzt gar!›, sagte Albert und legte die Hände ins Gesicht. ‹Da drüben sperren sie mir die Kirche zu, und du redest vom Braten, wie gar der jetzt ist.›
    Er stieß sich vom Stuhl, bucklig stand er am Tisch und bettete das Luftkissen um, ließ sich darauf fallen.
    ‹Verzeihung. Gestern habe ich meinen Freund begraben, Ihren Vater, Anna. Und jetzt das.›
    Dagmar drehte den Ofen aus.

    Wie setzen sich die Tränen einheimischer Libellen chemisch zusammen? -

    ‹Warum sperrten sie die Kirche zu?›, fragte Dagmar.
    ‹Damit keiner hineingeht und sich dort versteckt, vielleicht. Was weiß ich?›
    Anna saß am Tisch, ihre Hände auf dem schwarzen Rucksack.

    Das Telefon klingelte.
    ‹Simon›, sagte Dagmar.
    ‹Sprich du mit ihm, ich will jetzt nicht›, sagte Albert. Anna stellte den Rucksack auf den Boden, stand auf und nahm ihren Mantel.

    Man müsste sie

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