Nur mit dir sind wir eine Familie
Waisenhauses wird das genauso sehen, sobald sie uns kennengelernt hat. Wir sind gute und anständige Menschen.“
„Ich weiß. Es klingt vielleicht verrückt, aber mir wird erst jetzt bewusst, dass das Kind real ist und nicht nur ein Traum. Die Vorbereitungen zu treffen, war eine Sache – aber der Gedanke, den letzten Schritt zu vollziehen, versetzt mich auf einmal in Panik.“
„Ich halte deine Gefühle absolut nicht für verrückt. Aber meiner Meinung nach bist du einfach nur aufgeregt. Mit Angst hat das kaum etwas zu tun.“
Charlotte schwieg nachdenklich. Es stimmte, Aufregung und Angst verursachten ähnliche Symptome – einen beschleunigten Puls, Bauchschmerzen und Händezittern. Angst war jedoch etwas Negatives, während Aufregung meist mit Vorfreude verbunden war. „Ich glaube, du hast recht“, sagte sie und sah Sean dankbar an. Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ich bin wahrscheinlich wirklich sehr aufgeregt. Danke, jetzt fühle ich mich schon viel besser.“
„Freut mich. Magst du dich jetzt anziehen, damit wir vor dem Treffen mit Marta noch rasch frühstücken können?“
„Aye, aye, Sir!“ Schwungvoll warf Charlotte die Decken beiseite und sprang aus dem Bett. „In einer Viertelstunde bin ich fertig, versprochen.“
Nachdem sie ein kurzes Bad genommen hatte, zog sie sich rasch eine schwarze Cordhose und einen roten Pullover an. Gemeinsam mit Sean und ein paar asiatischen Geschäftsleuten fuhr sie im Fahrstuhl ins Erdgeschoss hinunter, wo sie mithilfe der Empfangsdame das kleine Café fanden, in dem sowohl amerikanisches als auch kontinentales Frühstück serviert wurde.
Charlotte war überrascht, wie hungrig sie trotz der herzhaften Mahlzeit vom Abend zuvor war.
„Das liegt an dem kalten Wetter“, erklärte Sean, als sie ihn darauf ansprach. „Dein Körper teilt dir mit, dass du ein paar Extra-Kalorien brauchst, um warm zu bleiben.“
„Wirklich?“, fragte sie, während sie sich Butter auf ihre Pfannkuchen strich.
„Na ja, das ist zumindest meine Theorie“, antwortete Sean grinsend, während er eins der sechs Würstchen auf seinem Teller aufspießte.
Nach dem Frühstück schafften sie es gerade noch, sich in ihrer Suite ein bisschen frisch zu machen und ihre Mäntel zu holen, denn Marta erschien pünktlich um halb zehn in der Lobby, um sie abzuholen. Die junge Frau war so dick angezogen, dass nur ihre verschmitzten braunen Augen zu sehen waren. Sean und Charlotte hätten sie deshalb in dem hektischen Trubel der Hotelhalle, in dem Menschen verschiedenster Herkunft umherliefen, fast nicht erkannt.
Rudi, der Fahrer, begrüßte sie nickend, als sie sich in den Wagen setzten. Kurz darauf reihte er sich in den Verkehr in den schmalen Straßen der Altstadt ein.
Aufmerksam blickte Charlotte aus dem Fenster. Da sie wesentlich wacher und aufnahmebereiter war als am Abend zuvor, freute sie sich, dass Marta auf ein paar Regierungsgebäude und das Theater hinwies, in dem das russische Ballett und ein Sinfonieorchester auftraten.
Je weiter sie sich vom Stadtzentrum entfernten, desto breiter wurden die Straßen und umso moderner und unscheinbarer die Häuser. Marta erklärte ihnen, dass hier der Großteil der Einwohner von Almaty wohnte. Charlotte fiel auf, dass die meisten Menschen auf der Straße westliche Kleidung trugen, die von guter Qualität zu sein schien.
Es dauerte nicht lange, bis Rudi durch ein offenes schmiedeeisernes Tor fuhr und vor einem wuchtigen dreistöckigen Gebäude bremste. Vorne an der Einfahrt war Charlotte ein Schild aufgefallen, dessen kyrillische Schrift sie jedoch nicht hatte lesen können.
„Wir kommen genau rechtzeitig“, verkündete Marta vom Beifahrersitz aus und lächelte stolz. „Madame Zhirkova wird sehr erfreut sein.“
Als Rudi den Motor ausstellte, warf Charlotte ihrem Mann einen nervösen Blick zu. Sie fühlte plötzlich einen Kloß im Hals.
Sean, der spürte, wie es in ihr aussah, nahm ihre Hand und drückte sie beruhigend. „Wir sind schon mal pünktlich“, sagte er leise. „Die erste Hürde ist also überwunden.“
„Stimmt.“
„Jetzt musst du nur noch aufhören, wie ein Reh im Scheinwerferlicht auszusehen, damit wir noch mehr Eindruck auf Madame Z. machen.“
Seine respektlosen Worte hatten genau die Wirkung, die Sean erzielen wollte: Charlotte begann zu kichern wie ein Schulmädchen. Schlagartig war ihre Nervosität verschwunden. Seufzend legte sie den Kopf an Seans Schulter. „Danke, das brauchte
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