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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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wir keinen bleibenden Gewinn davon.«
    Nadine lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Johanna zündete sich eine neue Zigarette an und blies den Rauch von sich. Dann sprach sie wieder.
    »Wir wachsen in eine Welt hinein und sehen uns um und sehen Sonne, Hund und Wasserklo und glauben unserer Wahrnehmung, wir vertrauen ihr, und es bleibt uns ja auch gar nichts anderes übrig; und wir denken, dass das Wahrgenommene mit Notwendigkeit so ist und nicht anders und auch immer schon so war und so bleiben wird, ein eherner Bestandteil dessen, was wir die Welt nennen; dann – wir sind jetzt schon etwas größer – bemerken wir, dass diese Welt sich selbst in dem winzigen Ausschnitt, den wir überhaupt nur in den Blick bekommen, permanent verändert – allzumal, wenn wir in so etwas wie einen Krieg oder eine Revolution geraten, können wir uns das nicht mehr verbergen –, aber noch immer halten wir das Existierende im Großen und Ganzen für selbstverständlich.
    Jedoch in diesen Momenten, von denen du gesprochen hast, in denen uns plötzlich alles fremd wird, ahnen wir, dass nichts hienieden selbstverständlich ist und nichts mit Notwendigkeit so existiert, wie wir es wahrnehmen, dass alles ebenso nicht oder ganz anders sein könnte.«
    »Puh«, sagte Nadine.
    Dann dachte sie, dass ihr solche Vorträge auch kein Gewinn mehr seien.

Küche (zur selben Zeit)
    Janina grübelte. Eine Sonderbarkeit nach der anderen. So etwas war noch nie vorgekommen. Jetzt saßen doch die Verrückte, die Traurige und die Kokette bei Kaffee und Tee im Salon beisammen und redeten ohne Unterlass, und nicht nur das, sie aßen die Torte auf, die doch eigentlich für diesen Herrn von Rungholt bestimmt gewesen war. Und was sollte der nachher serviert bekommen?
    Das sah sie ja schon kommen, dass man sie bitten werde, rasch loszulaufen, um irgendwelche Spezialitäten zu besorgen. Wenn das so weiterginge, würde sie von ihrer Mutter heute Abend das übliche Gezeter über ihre hausfrauliche Unfähigkeit zu hören bekommen. Am Ende dieses Gezeters stand immer der Satz: »Kein Wunder, dass es kein Mann bei dir länger aushält.« Den wollte sie nicht mehr hören. Nein, den wollte sie nicht mehr hören.
    Janina schaute auf ihre Armbanduhr. Ja, die Wäsche müsste jetzt fertig sein. Sie eilte in die Waschküche, nahm die Wäsche aus der Maschine und hängte sie sorgfältig auf die Leine. Jedes Stück zupfte und dehnte sie, bevor es gestrafft über die Leine kam. Eine Maßnahme, die ihr morgen das Bügeln erleichtern würde.
    Als sie nach zehn Minuten zurückkehrte, stand die Chefin in der Küche.
    »Ach, da sind Sie ja, Janina. Ich habe Sie gesucht. Sie können heute früher gehen.«
    Janina traute ihren Ohren nicht.
    »Aber das Geschirr im Salon und …«
    »Das können wir selber zurücktragen.«
    »Wir haben auch kein Gebäck mehr für Herrn von Rungholt.«
    »Das ist völlig unerheblich.«
    Charlotte sagte das so gebieterisch, als wollte sie alle weiteren Einwände im Keim ersticken.
    Seltsam, die Chefin schien es geradezu darauf anzulegen, dass sie möglichst bald verschwand.
    Sehr seltsam.
    Janinas Freude darüber, dass sie jetzt schon gehen konnte, viel früher, als nach all ihren Berechnungen, überstrahlte ihre Beunruhigung. Aber gleich darauf, als sie ihre Schürze an den Haken hängte und ihre Handtasche holte, klopfte eine liebevolle Fürsorge wieder an: Wäre es, so fragte sie sich in Erwägung all dieser Seltsamkeiten, wäre es nicht geboten, noch ein wenig auf die alten Frauen aufzupassen? Sie hätte jedoch nicht gewusst, wie sie die Notwendigkeit ihres fürsorglichen Verweilens über den verordneten Dienstschluss hinaus der Chefin hätte erklären sollen.
    Und so ging die kleine Beunruhigung mit ihr, als Janina um 15 Uhr 32 raschen Schritts die Villa verließ.

Salon (16 Uhr 03)
    »Willst du noch einen Tee?«
    »Nein danke«, sagte Nadine.
    Sie wirkte jetzt gefasster und war offensichtlich bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen, ja, sie schien darin sogar eine Ablenkung zu sehen.
    Nach einer längeren Redepause sagte sie:
    »Da war eben einer im Fernsehen, der hat gesagt, dass diese ganze Netzwelt ein großes menschheitsgeschichtliches Experiment sei, von dem man kaum wissen könne, wie es ausgehen werde.«
    »Der Mann hat recht«, sagte Johanna.
    »Ich mag das alles nicht. Im Grunde interessiert es mich auch nicht. Es ist mir unheimlich. Es ist mir fremd. Es scheint mir feindlich. Es macht mir sogar Angst. Ich sehe mich als

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