Nur Mut: Roman
euch auch davon.«
Leonie ging hinaus, um Janina Bescheid zu geben.
Johanna sagte: »Da wird sich Rungholt grämen, wenn er keine Leckereien kriegt. Mir scheint, sein Kurs ist rapide gesunken.«
»Ach, denk doch nicht, dass ich von dem Schwadroneur was wollte. Aber die Anwesenheit von Männern hat mir hier in unseren letzten Jahren gefehlt.«
Sie sah Johanna direkt an.
»Willst du mir glauben, dass ich einmal sehr attraktiv war?«
»Ja, das glaube ich dir.«
»Ich liebte das Begehren in den Augen der Männer, ich liebte den Rang, den mir das gab. Ich liebte ihre Abhängigkeit von meiner sexuellen Gnade. Ich hatte die Macht, sie in eine blinde Raserei zu versetzen. Eine Macht allerdings, die nicht sehr weit über das Schlafzimmer hinausreichte und die sich mit der Zeit verbrauchte. Und eh man sich versieht, fällt der Vorhang.«
Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Johanna schwieg.
Dann sprach Nadine wieder.
»Das ist lange vorbei. Ich weiß genau, wie ich heute aussehe, ich kenne jede Falte. Ich könnte eine hundertseitige Abhandlung schreiben über die gegenwärtige Beschaffenheit meiner mürben Haut in den verschiedenen Regionen meines Körpers. Die überlebensnotwendigen Eingriffe der Chirurgen haben mich auch nicht verschönert. Spätestens seit der Zeit, als mir eine Brust entfernt und durch ein Implantat ersetzt wurde, war mein erotisches Begehren versiegt. Den Satz ›Das macht mir nichts aus‹ wollte ich nicht hören.
Ich weiß, dass ihr meine Koketterien lächerlich findet. Unangemessen für mein Alter, für meinen Zustand und auch der heutigen Zeit nicht angemessen. Aber wenn ich gleichwohl die Kleidungen und die Frisuren der Zeit, die meine beste war, ausstellte – der Ausschnitt etwas zu tief, der Rock etwas zu kurz, der Pullover etwas zu eng –, dann honorierten das die Männer mit einem Flirtreflex, der mir guttat. Wobei ich sehr wohl wusste, dass die, die mir gefielen, mich schon lange nicht mehr für ihre große Lust einplanten. Sie gaben ein armes Honorar für ein armes Bemühen. Ein schwacher Abglanz. Das gebe ich zu.
Früher war da diese Macht, in den letzten Jahren war es immerhin noch ein erfreuliches Spiel. Sinnlos und vergeblich, aber doch ein wenig herzerwärmend.
Und komm mir jetzt bitte nicht mit dem Spruch von der unwürdigen Greisin.«
Nein, damit wollte Johanna nicht kommen, sie kam mit etwas Unerwartetem.
»Du hast mir imponiert mit deinem Wutplädoyer für das Recht der Kranken und Alten, sich unter ihr Niveau zu begeben«, sagte Johanna.
»Willst du sagen, dass du dabei bist, das Bild, das du von mir hast, zu korrigieren?«
»Ja.«
»Das ist erfreulich, kommt aber spät.«
Und leise fügte sie hinzu: »Zu spät.«
Zu spät?
Dann wurden die Gespräche unterbrochen, weil Janina erschien. Auf ihrem Servierwagen befand sich neben den Kannen für Kaffee und Tee sowie dem zugehörigen Geschirr auch die für Rungholt bestimmte Torte.
Dörtes Zimmer (inzwischen)
Flocke lehnte sich zurück und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren. Der Zahnschmerz kam jetzt in Wellen. Pochend schlug er hoch bis in sein Hirn. Manchmal schloss er gequält die Augen. Aber das machte die Sache nicht besser. Also starrte er immer wieder verzweifelt auf den Schirm des kleinen TV-Geräts. Aber die Bilder und Dialoge fügten sich nicht zu Informationen über den Handlungsgang.
Die Go-go-Tänzerin Cherry Darling hatte irgendwie Ähnlichkeit mit Dörte. Irgendwie? Quatsch. Hatte er schon eine verzerrte Wahrnehmung? Und dann der Krach. Dieser Film war entsetzlich laut. Was war denn da überhaupt los? Ein einziges Gezappel. Das bekam er grade noch mit: Da fanden ständig Zombie-Angriffe statt, die es abzuwehren galt. Giftgase spielten eine Rolle. Ganz falsch, dachte Flocke, Lachgas, dachte Flocke, ja, Lachgas das haben doch früher die Zahnärzte eingesetzt, gegen diesen Schmerz, diesen grässlichen Schmerz in meiner Backe! Er schaute wieder auf den Schirm. Hatten sich Lt. Muldoon und Dr. William Block auch schon in Zombies verwandelt? Oder gehörten sie noch zu den Guten? Und warum hatte Cherry Darling jetzt nur noch ein Bein?
Dörte fand den Film offensichtlich komisch. Wenn sie besonders laut lachte, lachte er vorsichtshalber schiefmäulig ein wenig mit, aber er wusste nicht, warum. Er hatte den Faden völlig verloren.
Scheiße, die Zahnschmerzen wurden immer schlimmer. Ihm war auch ein bisschen übel.
Plötzlich war der Film zu Ende. Ihm war, als hätte der fünf
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