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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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bevor Charlotte den Raum verlassen hatte, hing sie an ihrem Smartphone, um erste Verabredungen zu treffen.
    Sie nahm das böse Lächeln nicht wahr, das Charlottes Gesicht entstellte.

Salon (17 Uhr 13)
    Charlotte hatte sich vorübergehend zu ihren drei Freundinnen gesellt, aber sie, die immer so Zielstrebige, war ruhelos. Mehrmals war sie aufgestanden, um mit übertrieben energischen Bewegungen irgendetwas zu holen oder zu ordnen. Sie rückte einen Sessel in eine andere Position, sortierte die Zeitungen um, verschob einen Vorhang etwas … Ja, sie war nervös, aber sie suchte das vor den anderen zu verbergen, indem sie ihren sinnlosen Tätigkeiten den Anschein des Zweckmäßigen gab. Immer wieder schaute sie auf ihre Armbanduhr.
    Jetzt schreckte sie auf.
    Die Türklingel!
    Sie erhob sich. Sie streckte sich zu ihrer immer noch imposanten Größe. Sie strich ihren Rock glatt. Sie fuhr sich mit wenigen ordnenden Handbewegungen in die Haare. Sie ging zur Tür. Gerade Haltung. Entschlossene Schritte. Sogar ihre Gesichtshaut hatte sich gestrafft und spannte über den Wangenknochen. Um den Mund lag ein bitterer Zug. In der Tür wandte sie sich noch einmal um.
    »Das wird Rungholt sein, ich gehe mit ihm in die Bibliothek, ihr könnt also hierbleiben. Bitte stört uns nicht.«
    Ihre Stimme war rau.
    Sie verließ den Raum.
    Sie hinterließ ein Staunen.
    Johanna schüttelte den Kopf.
    »Was war das denn? Bitte stört uns nicht? Warum sollten wir sie stören? Nie haben wir sie bei irgendetwas gestört. Und seit wann redet sie mit uns in diesem Anweisungston?«
    Leonie unternahm einen müden Versuch der Schlichtung, um die Spannung abzubauen, die die Luft elektrisierte.
    »Sie ist ein bisschen nervös, seit sie auf der Bank war. Sie macht sich Sorgen.«
    Johanna lachte humorfrei.
    Klang ihre Stimme bei ihren folgenden Worten schrill? Hatte sie die Schärfe ihrer Unerhört-Rufe?
    »Mag ja sein, dass Charlotte sich sorgt. Aber es muss mehr dahinterstecken als ein paar überhöhte Rechnungen oder ein sinkender Aktienkurs. Hier geht etwas vor. Und es ist nicht gut. Sie hat Janina nach Hause geschickt. Lange vor Dienstschluss. Und als ich eben ins Bad ging, ist dieser komische junge Mann panisch an mir vorbeigaloppiert, wie von Furien gehetzt, und als ich wieder herauskam, stürmte Charlottes Enkelgöre zum Ausgang. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Habt ihr es nicht bemerkt? Da ist etwas im Gange!«
    Johanna war sich in dieser Orakelei plötzlich selber peinlich. Sie rettete sich wie so oft in die Übertreibung.
    »Da ballt sich etwas zusammen! Und zwar nicht nur hier bei uns, nein, ganz allgemein. Hagel und Sturm, die Meere steigen auf, Dürren überziehen verwüstete Länder, die Seuchen und die Heuschrecken kehren zurück. Die Natur rächt sich an der Dummheit und Selbstüberschätzung der Hominiden.«
    Nadine lachte unecht.
    »Ja«, rief sie und richtete sich auf, »ja, die Endzeit ist angebrochen«, aber sie sank sogleich wieder in einen tiefen Sessel. Was als Parodie des Alarms, in dem sich Johanna zu gefallen schien, gedacht war, ging über in echte Panik. Nadine wirkte erschöpft. Sie war sich nicht sicher, wie ernst es Johanna mit ihren düsteren Meldungen war. Sie suchte sich zu beruhigen.
    Der Blick aus dem Fenster aufs friedliche Flussufertreiben im Glanz des Sonnentags sollte ihr Ablenkung, Frieden und die Vergewisserung harmloser Alltäglichkeit bringen. Er bewirkte das Gegenteil.

Draußen vor der weißen Villa
    Wenige Schritte flussabwärts, aber noch in Sichtweite, gab es einen Spielplatz. Dort hatten Kinder einen hohen kegelförmigen Sandhaufen errichtet. Was immer das einmal hatte werden sollen – eine Pyramide vielleicht? –, die Kleinen waren mit ihrem Werk nicht fertig geworden. Unvollendet und etwas schief stand er, der große Sandhaufen, verlassen da. Ein blaues Schäufelchen war vergessen worden. (Nadine glaubte zu sehen, wie ein kleines blondes Mädchen wegrannte.)
    Horror! Ein Schauder durchlief Nadine. Urweltlich. Magma, dachte Nadine – und sie musste sich beherrschen, das Wort Magma nicht laut hervorzustoßen –, Magma, glühendes Magma, gleich, dachte sie, gleich wird es die Kegelspitze sprengen und herausschießen und alles Leben im Umkreis von vielen Kilometern verbrennen, ersticken und …
    Viele Jahre ihres Lebens hatte Nadine in der Kegelform nie etwas anderes sehen können als einen Vulkan. In dieser Zeit hatte sie oft (fast täglich) an Vulkane gedacht, von ihnen geträumt, und

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