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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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zappelndes Tier darin. Ich bin gegen dieses komische Netz. Und du?«
    Die Frage galt Leonie, die hereingekommen war und sich wieder zu ihnen setzte. Sie sah nicht aus, als hätte sie der Mittagsschlaf erquickt.
    »Wogegen soll ich sein?«
    »Ob du für oder gegen das Internet bist.«
    Aber Leonie hatte keine Chance, die Frage zu beantworten. Johanna fuhr dazwischen.
    »Das ist nicht mehr die Frage«, sagte sie resolut.
    »Na hör mal, ich darf ja wohl dagegen sein!«
    Nadine war entrüstet.
    »Ja klar«, sagte Johanna, »du kannst dagegen sein, aber nur in der Weise, wie du gegen das Wetter oder den Tod sein kannst. Es ist gut, wenn du weißt, ob du das jeweilige Wetter magst oder nicht, und du tust sehr gut daran, dir dein Verhältnis zum Tod zu verdeutlichen, soweit das möglich ist, aber diese Einsichten werden auf das Wettergeschehen oder auf deine Sterblichkeit keinen Einfluss haben.«
    »Aber man muss da ja nicht mitmachen«
    »Mein argloses Täubchen, du hast wirklich keinen Schimmer. Wir sind die hinfälligen Wasserstoffwesen. Das Netz hingegen ist von einer teuflischen Zählebigkeit. Es wird sich unsere Endlichkeit verspottend weltumspannend ausdehnen, sich unaufhaltsam verästelnd stetig erweitern bis hinein in die verborgensten Winkel aller Kontinente. Auch die Netzungläubigen werden eingeschmolzen in seine Algorithmen, und es wird sich – darin liegt die eigentliche Teufelei – taktgebend hineinfressen in die Hirne und die Seelen der Menschen, sich verzwirbeln in jedwede Lebensfaser. Die Menschheit im Rausch der allgegenwärtigen Unmittelbarkeit. Du hast es zu tun mit einer Turbohydra, da hilft kein Dagegensein. Es entsteht, unabwendbar, eine parallele Welt, deren Existenz gleichwohl das analoge Leben durchdringen und am Ende absolut dirigieren wird. Cyberimpulse werden die Taten lenken, der Cyberjargon die Reden prägen, die Erzählungen der Zukunft werden automatisierte digitale Selbstläufer sein, die Finanzströme unterstehen schon jetzt dem Cyberdiktat. Aber das sind nur die scheinbar friedlichen Aspekte. Es gibt auch andere. Die Cyberkriege haben schon begonnen, und die Cyberterroristen sind längst unterwegs.«
    »Cyberkriege?«, fragte Nadine. »Ich weiß zwar nicht, was das ist, aber ich bin sicher, da liegt ein weiterer Grund, warum es gut ist, nicht mehr lange zu leben.«
    Jetzt kehrte auch Charlotte zurück. Ihre grimmige Miene ließ vermuten, dass ihre Besprechung mit dem Banker unerfreulich verlaufen war.
    »Worüber sprecht ihr?«
    »Über die Cyberhydra«, sagte Nadine klamm.
    Charlotte runzelte unwillig die Stirn. Sie hatte offensichtlich andere Sorgen.
    »Über die Gefahren des weltweiten Netzes«, erläuterte Johanna.
    Charlotte schaute sie grimmig an.
    »Das sind ja ganz neue Töne aus deinem Mund. Ich erinnere mich an deine feurigen Lobreden auf WikiLeaks. Endlich würden diese ganzen militärischen Schweinereien der Amis aufgedeckt und die Geheimarchive durchlüftet. Wie hast du doch getönt: dass dort in der Netzkommunikation die Chancen lägen für die Hörbarkeit von Volkesstimme und die längst fälligen Tyrannenstürze in vielen Ländern?«
    Johanna machte eine abwehrende Bewegung, aber Charlotte war in Fahrt:
    »Woher kommt denn der Sinneswandel? Im Übrigen: Du musst dich gerade kulturpessimistisch aufplustern, ausgerechnet du. Für wen waren denn die drei Pakete, die heute postalisch angeliefert wurden? Für die Netzphobikerin Johanna! Wer weiß, womit du den digitalen Handel wieder befeuert hast. Letzte Woche waren es, wenn ich mich recht erinnere: zwölf E-Books, eine Hühneraugencreme, ein Fusselrasierer und zwei Strumpfhosen.«
    »Das ist ja interessant, dass du meine Einkäufe kontrollierst«, sagte Johanna, ein wenig erschrocken. So hatte Charlotte noch nie mit ihr gesprochen.
    Charlotte setzte nach:
    »… um von deinen Facebookumtrieben als ›Eduard, der Graphiker‹ gar nicht zu reden.«
    »Ich sehe mich als teilnehmende Beobachterin, das ist ein Fachausdruck der soziologischen Feldforschung, wie du vielleicht weißt.«
    »Ja, und die dümmste Ausrede, die es gibt.«

Draußen
    Draußen am Ufer hatten junge Leute – die meisten in helles Leinen gewandet, die Frauen in weiten, weißen, wadenlangen Kleidern – begonnen, Decken auszulegen und Instrumente auszupacken: diverse Flöten, eine Laute und eine Art Fidel. Ein Säugling schlief in einem Korbwagen. Ein Mann jonglierte, zwei Jungen verfolgten ein Mädchen, sie liefen um die Bäume, bald erwischte der eine

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