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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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Stunden gedauert.
    »Wie fandste den Soundtrack?«
    »Super«, sagte Flocke.

Leonies Zimmer (währenddessen)
    Leonie war müde. Sie legte sich nicht in ihr Bett. Sie legte sich bekleidet auf die Liege in ihrem geräumigen Zimmer. Vielleicht würde sie gebraucht. Dann müsste sie schnell zur Stelle sein. Wofür? Um Nadine zu trösten? Ich habe keinen Trost, dachte sie. Nicht für mich. Nicht für Nadine. Nicht für Johanna. Wenn ihr nur diese verdammte Worte wieder einfielen. Denn das glaubte sie zu wissen: Wenn ihr diese Worte wieder einfielen, fiele ihr auch wieder ein, warum sie wusste, dass Johanna in den gleichen Abgrund schaute wie Nadine und sie selbst.

    Dann fiel sie in einen leichten Schlaf.
    Ihr träumte:
    Sie verlässt die Villa, geht zum Fluss und steigt in ein Boot. Es ist ein Ruderboot, und es wird von einem mannsgroßen Krokodil gerudert. Leonie erinnert sich an ein Paar sehr elegante Kroko-Pumps, die sie in den sechziger Jahren gerne trug. Leonie lacht böse. Das Krokodil hat Ähnlichkeit mit ihrem Onkel Friedrich. »Wie geht es meinen Eltern?«, fragt sie. Das Krokodil ist offensichtlich schlecht gelaunt. »Weiß nich«, brummt es, »ich glaub ganz gut.« Leonie wüsste gerne mehr, aber sie kommen plötzlich in eine Stromschnelle, und das Krokodil hat sichtlich Mühe, das Boot über Wasser zu halten. »Achtung! Große Gefahr!«, ruft das Krokodil. Bei jeder hohen Welle hüpft es auf seiner Bank einen halben Meter hoch, die Ruder in den Krallen. Eine Höllenfahrt ist das, aber doch auch lustig. Das Wasser schwappt ins Boot, und ihre Füße werden nass. Sie lacht und lacht und lacht, kann gar nicht mehr aufhören damit und wirft die durchgeweichten Schuhe links und rechts über Bord. Ein Floß treibt vorüber. Auf dem stehen zweiundzwanzig Matrosen stramm. Jetzt wird die Fahrt wieder ruhiger, der Fluss mündet in einen großen See. Der ist himmelblau.
    »Tschüs«, sagt der Krokodil-Onkel und kippt linker Hand ins Wasser. Das ist blöd. Jetzt muss sie selbst rudern. Aber wohin soll sie rudern? Warum gibt es keine Insel. Verdammt nochmal, warum gibt es keine Insel? Es muss doch eine Insel geben. Das war die Prophezeiung. Was für eine Prophezeiung? Aber da ist keine Insel. Sie rudert im Kreis. Der See ist kreisrund, das Ufer ringsherum ein immer gleicher grüner Saum. Kein Baum, kein Strauch, kein Haus, kein Mensch. Das Rudern ist furchtbar anstrengend. Eine steilstehende grellgelbe Sonne verbrennt ihren Rücken. Sie rudert und rudert und rudert, schon bilden sich erste Blasen an ihren Händen, aber sie kommt keinen Millimeter voran. Das himmelblaue Wasser ist zäh wie der zu lange gekochte Griesbrei ihrer Kindheit. Da nützt das Himmelblau ja auch nichts.
    Leonie weint.
    Aber nur ein bisschen.

IV
    Salon (15 Uhr 17)
    Auch Gewohnheiten können altern und taumeln. Hatten sich die alten Bewohnerinnen nach den Mahlzeiten, die sie zumeist gemeinsam in dem Speisezimmer einnahmen (nur Johanna hatte sich aus dieser Verabredung schon vor einem Jahr verabschiedet), bald wieder vereinzelt, waren in ihre Zimmer geeilt oder auch in die Bibliothek oder in den Salon, so zogen sich ihre Kreise jetzt immer enger zusammen. Der Salon wurde mehr und mehr zu ihrem Mittelpunkt, zu einem Ort, an dem sie sich suchten und den sie nicht mehr gerne verließen.
    Leonie hatte ihn gleichwohl verlassen, weil sie sehr müde gewesen war. »Ich ruhe mich nur kurz aus, ich komme bald wieder«, hatte sie gesagt. Auch diese Rechenschaft über ihre weiteren Vorhaben war ganz unüblich.
    Johanna und Nadine saßen nun schon seit 13 Uhr 45 dort im Salon beieinander. Mal sprachen sie, mal schwiegen sie.
    »Kennst du das …«, fragte Nadine gerade, »… eines Tages schaust du etwas an, das dir sehr vertraut ist, eine Vase zum Beispiel, es kann auch ein Mensch sein, und plötzlich erscheint dir das, was du da gerade vor dir hast, ganz fremd, absolut fremd, als hättest du dergleichen noch nie gesehen.«
    »Ja, das kenne ich, man ist dann entweder ganz bei sich oder verliert sich an eine absurde Unbestimmtheit.«
    »Ist das gut, oder ist das schlecht?«, fragte Nadine.
    »Weder noch«, sagte Johanna. »Ich glaube, das ist ein altes Lied, oder vielmehr eine alte Figur: Die verhangene Göttin der Wahrheit – sie ist alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird – lässt in solchen Momenten für einen Wimpernschlag ihre Schleier fallen. Für diesen kurzen Moment wissen wir alles und nichts, beides zugleich, aber in der Regel haben

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