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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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ihre Unumgänglichkeit mit den veränderten Usancen des Finanzmarktes begründet, da gäbe es neue Regeln, da gelte es neuerdings, geschickt und verdeckt und auch auf ungewöhnlichen Wegen das Geld zu sichern und wenn möglich zu vermehren und so weiter.«
    Charlotte drückte die Zigarette auf dem dünnwandigen Porzellan einer Untertasse aus. Das hätte sie in ihrem vorhergehenden Leben nicht getan.
    »Du hättest auch jetzt noch Buchprüfer auf seine Spuren setzen und ihn verklagen können«, sagte Johanna.
    »Nein, er war auf dem Sprung in ein fernes Land, den gefälschten Pass schon in der Tasche. Dort wollte er mit der fünfunddreißig Jahre jüngeren Nutte, die ihm das Hirn vernebelt hat, ein bequemes Leben einleiten. Als er bemerkte, dass ich ihn durchschaute, hat er mir all das kalt ins Gesicht gesagt. Da war ein Schlag fällig und nötig.«
    Charlotte nahm einen kräftigen Schluck Rotwein aus Leonies Glas. Sie hatte ihren Irrtum rechtzeitig bemerkt, aber nicht korrigiert.
    »Aber das ist doch kein Grund für einen Mord«, sagte Nadine.
    »Da ist es ja, das böse, böse Wort, auf das ich schon die ganze Zeit warte. Soso, du findest also, dass das kein hinreichender Grund für einen Mord sei. Darf ich mal fragen, wie es mit deinen Einkünften steht?«
    »Ich bin völlig pleite«, sagte Nadine, »das weißt du doch.«
    »Johanna, kommen bei dir noch Gelder vom Verkauf deiner Bücher?«
    »Nein.«
    »Dann werdet ihr also zukünftig von Leonies kärglicher Witwenpension leben müssen.«
    »Die Villa?«, fragte Nadine ängstlich.
    »Verkauft an ausländische Investoren.«
    Charlotte schaute ihre Freundinnen nachsichtig an, so wie man unverständige Kinder betrachtet.
    »Ich war nie so milde gestimmt wie gerade jetzt. Ich bin zum ersten Mal gütig gegen mich selbst. Ich spüre mich aufs Ganze. Ich verstehe mich gut. Ich bin bei mir angekommen. Das Gefühl kannte ich nicht.«
    Sie machte eine Pause.
    »Mit dem Schlag habe ich nicht nur Rungholt erledigt, auch meine Herkunft, meine Zukunft, meine Pflichten, meine Sorgen, einfach alles.«
    Pause.
    »Meine Eigenliebe war nie sehr entwickelt, ich habe immer nur getan, was getan werden musste, was ein klug gewähltes Ziel erforderlich machte. So hat man mich erzogen.«
    Pause.
    »Vor diesem Schlag war ich ein planendes Wesen. Mit diesem Schlag habe ich mich verbraucht. Nach diesem Schlag werde ich mich für eine sehr kleine Zeit in der neuen Eigenliebe wärmen. Mein Leben hat keine Richtung mehr. Es gibt kein Ziel mehr. Es gibt nichts mehr zu tun. Jetzt bin ich für andere nur noch gefährlich.«
    Charlotte lächelte versonnen und warmherzig.
    Ja, tatsächlich warmherzig. So hatte man sie noch nie lächeln sehen.
    Jetzt sprach sie wieder.
    »Plötzlich und erstmalig fühle ich mich frei«, sagte sie. »Wenn ihr es so nennen wollt: vogelfrei.«
    Pause.
    Hätte Charlotte geweint, wäre sie verzweifelt gewesen, wütend, hysterisch, panisch – das alles hätten die Freundinnen verstanden, aber diese übertriebene Milde in Miene und Ton (auf den Inhalt ihrer Rede hatten sie gar nicht erst geachtet) verschreckte sie.
    War Charlotte im Entsetzen über ihre Tat verrückt geworden? Vielleicht.
    »Ich habe eine Idee«, sagte Leonie. »Wenn jede von uns behauptete, sie hätte den Schlag ausgeführt, kann keine von uns belangt werden. Das habe ich einmal in einem Kriminalroman gelesen.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Johanna. »Du musst deine Fingerabdrücke vom Schürhaken wischen.«
    »Ich denke gar nicht daran.«
    »War da Blut?«, fragte Nadine mit bleicher Stimme.
    »Nein, darin war Rungholt erfreulich diskret. Ich schlug, und er sank. Er schied ohne Laut und auch ohne dramatische Blutströme.«
    »Es war allenfalls Totschlag im Affekt«, sagte Johanna.
    »Keineswegs, als ich heute von der Bank kam, ahnte ich schon das Ausmaß seiner Schurkereien. Deshalb hatte ich die Pistole, die mir mein Mann freundlicherweise hinterließ, vorsorglich auf dem Kaminsims deponiert. Dezent kaschiert mit Johannas Lieblingsbuch. Spontan entschied ich mich für die Schürhakenversion. Ich wollte euch nicht erschrecken. So ein Schuss ist nichts für die schwachen Nerven alter Frauen. Jedoch: Hätte der Schlag nicht genügt, ich hätte zur Pistole gegriffen. Ihr seht: Ich hätte ihn in jedem Fall erledigt. Eine wohlüberlegte, böse, geplante Tat. Bleibt mir also vom Leibe mit diesen winkeladvokatischen Ausreden.«
    Sie lächelte wieder. Bevor sie weitersprach, goss sie sich Rotwein ein und hielt das

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