Nur noch diese Nacht
gedreht. Damals hatte sie sich nicht einmal selbst richtig gekannt, nie herauszufinden versucht, wer sie eigentlich war. Sie war hübsch gewesen. Hatte Spaß gehabt, viel gelacht, hatte Musik, Partys, Kleider, Schuhe und Verabredungen geliebt. Zur Schule war sie gern gegangen, hatte gut Noten nach Hause gebracht. Aber da hatte sie nicht genug Zeit gehabt, um festzustellen, wo ihre Stärken lagen. Und dann war sie gezwungen gewesen, die Schule abzubrechen, und ihr ganzes Leben hatte sich verändert – als ihre Eltern feststellen mussten, wie sehr ihre Tochter sie enttäuscht hatte. All ihre Liebe und Förderung hatte sich als vergeblich erwiesen.
Wie dankbar war Claire damals gewesen, dass Ryan für sie da war. Er hatte ihr zur Seite gestanden, für sie gesorgt. Sie geliebt – sie geheiratet. Und sie mitgenommen, als er aus beruflichen Gründen umgezogen war.
Wie einen kostbaren Schatz hatte er sie behandelt, während sie sich eher als Zubehör gesehen hatte – nicht als gleichwertigen Partner. In allem war sie so abhängig von Ryan gewesen, dass sie es nicht gewagt hatte, aus seinem Schatten zu treten. Und in ihrer Verliebtheit war sie überzeugt gewesen, sich nichts anderes zu wünschen.
Ein Schauer überlief Claire, schuldbewusst blickte sie weg. Es war ungerecht, Ryan die Schuld für ihre Dummheit zu geben. Oder weil er sich in sein „anderes“ Leben zurückziehen konnte, nachdem ihre gemeinsame Zeit abgelaufen war.
Claire unterdrückte einen Seufzer. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Die Frau, die sie heute war, brauchte niemanden mehr, sie war unabhängig und nur sich selbst verantwortlich. Während die alte Claire sich einfach hatte treiben lassen, verfolgte die neue vernunftorientiert und beharrlich ihre Ziele. Sie war eine starke Frau, die es aus eigener Kraft geschafft hatte und sich durchsetzen konnte. Eine Frau, die ein Mann, der es gewöhnt war, alle um sich her zu beherrschen, sicher nicht würde ertragen können.
Ryan klappte den Laptop zu, stapelte die Akten aufeinander und verstaute sie in der Kuriertasche zu seinen Füßen. „Hör mal, Claire, in der Villa gibt es eine Gästesuite. Dort bist du ganz für dich, niemand würde dich stören. Wir müssen die Scheidungsmodalitäten endlich zu Ende bringen. Im Haus hast du es hübsch und bequem, glaube mir.“
Eine Gästesuite würde das Problem nicht lösen. „Ich glaube dir, aber darum geht es hier nicht. Ich brauche einen eigenen Raum für mich und meine Arbeit. Du bist nicht der Einzige, der eine Firma leitet.“
„Noch machst du doch Urlaub“, erinnerte Ryan sie leicht gereizt.
Er mochte es nicht, herausgefordert zu werden.
„Den Urlaub haben wir hauptsächlich wegen Sally eingeschoben, nicht meinetwegen. Und da sie vorübergehend ausfällt, muss ich Verschiedenes aufarbeiten.“ Claire atmete tief aus und sah Ryan Verständnis heischend an.
Er ließ sich nicht beirren. „Dann werden wir unsere Besprechungen eben um die Arbeit herum ansetzen. Wir können früher anfangen und bis spät abends weitermachen, wenn du im Haus bist. So werden wir uns schneller über die Scheidungsmodalitäten einigen.“
Klar! Ich soll wieder auf Abruf bereit sein. Das passiert mir nicht noch einmal.
„Ich lasse dir im Haus ein Büro einrichten, Claire.“ Schon zog Ryan sein Handy aus der Tasche und fuhr mit dem Daumen über das Display. „Sag mir, was du brauchst.“
„Ein Hotel, Ryan.“
Er schwieg. Auch das war ein taktischer Zug in dem Machtspiel, auf das sie sich nicht einlassen würde.
„Du setzt dich immer durch, stimmt’s?“
Er hielt ihrem Blick stand und antwortete dann: „Nein, Claire. Nicht immer.“
Zu gern hätte sie herausgefunden, wie er das meinte. „Gut.“ Kerzengerade saß sie da. Sie dachte nicht daran, nachzugeben. Das verbot ihr schon der Stolz. „Dann wirst du sicher auch nicht allzu enttäuscht sein, wenn ich dir sage: diesmal auch nicht.“
3. KAPITEL
Minuten später betrat Claire den Vordereingang von Ryans Haus am Strand in La Jolla, das sehr stilvoll aussah, wie sie anerkennen musste. Zwar wollte sie noch immer in einem Hotel im Ort einchecken, sobald das möglich war, aber sie wollte sich Ryans Gästesuite wenigstens ansehen. Er hatte nicht übertrieben.
Das dreigeschossige Haus aus grauem Schiefer, Stahl und Glas war wirklich geräumig und luxuriös. Durch ein Tor und einen üppig blühenden Garten führte eine Zufahrt zum Haus, das sich oberhalb des breiten Sandstrands erhob. Die Villa selbst war sehr
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