Nur noch diese Nacht
waren Anzeichen von Müdigkeit, aber was konnte man nach einem langen anstrengenden Tag erwarten? Nein, krank wirkte Claire nicht. Sie sah gesund und rosig aus und war zu einer wunderschönen Frau erblüht.
Ihre Wangen röteten sich, sie atmete unruhig …
Weil er ihre Gesichtszüge mit dem Daumen nachmalte? So viel zu seinem Vorsatz, sie nicht zu berühren!
Er musste sie in das Hotelzimmer bringen, das sie vernünftigerweise buchen wollte. Dort war sie in sicherer Entfernung … ehe er etwas komplett Idiotisches tat.
In seinen Adern rauschte es. Sollte er sie küssen?
Aber würde ein Kuss ihm genügen?
Verdammt noch mal, verlier ich jetzt den Verstand? Ryan wich einen Schritt zurück. Schließlich hatte er hier Claire vor sich, die Frau, die er über den Atlantik geschleppt hatte, um die Scheidung voranzutreiben!
Fast etwas verlegen gab er sie frei und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sein Hirn schien sich kurz abgeschaltet zu haben. Er musste dringend joggen gehen! Zehn Kilometer. Oder besser fünfzehn?
Er atmete tief durch. „Alles wieder in Ordnung?“
„Ja. Das hat mir geholfen. Danke.“
Verlegen zog Claire sich den Rock zurecht und glitt vom Bett. Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen, aber das konnte er ihr nicht verdenken. Er hatte sich wie der Kerl verhalten, als den die Sensationspresse ihn hinstellte, und verdiente es, dass sie ihn so sah. Vielleicht würde sie jetzt auf der Hut sein, statt ihn mit ihren blauen Augen so anzusehen, als hätte sie … Nein, Vertrauen war es nicht, was er darin las. Auch nicht Liebe. Verdammt, er wusste nicht, was es war, aber es weckte etwas in ihm, das ihm nicht gefiel.
Claire wurde ihm gefährlich. Mehr als er geahnt hatte. Schon deshalb musste er die Regelung der Vermögensaufteilung schleunigst über die Bühne bringen. In allen Punkten. Er würde Besprechungen absagen, seinen Terminplan umstellen und rund um die Uhr arbeiten, um das endlich durchzuziehen. Tun, was immer erforderlich war, um Claire endgültig aus seinem Leben zu verbannen. Doch erst musste er dafür sorgen, dass sie etwas Anständiges zu essen bekam und eine Nacht durchschlief.
„Gut. Dann fahre ich dich zu einem Hotel. Morgen haben wir einen weiteren anstrengenden Tag vor uns.“
Eine Stunde später war Claire in eine Hotelsuite mit Meerblick eingezogen, sie hatte sich hungrig über die vom Zimmerservice gelieferten Speisen hergemacht, und jetzt stand der Servierwagen bereit, um wieder abgeholt zu werden. Das Hotel war stilvoll und elegant, aber natürlich konnte es mit Ryans Haus nicht mithalten. Doch das war unwichtig. Jetzt zählte nur, dass sie hier eine Rückzugsmöglichkeit hatte, um sich Ryan und dem Gefühlschaos zu entziehen, das er in ihr auslöste.
Sie brauchte Abstand.
Claire stützte sich auf die Marmorablage und blickte in den Badezimmerspiegel. Sah man ihr an, wie zerrissen sie innerlich war?
Nichts ergab mehr Sinn. Es war Jahre her. Doch seit dem unverhofften Wiedersehen mit Ryan in Rom hatte ihr Leben sich völlig verändert, sie fühlte sich so lebendig wie seit Jahren nicht mehr. Widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass sie sich von Ryan hätte küssen lassen, wenn er sich nicht abgewendet hätte.
Zu gern hätte sie herausgefunden, ob sie wirklich noch etwas für ihn empfand. Würde sein Kuss sie erregen, oder bedeutete Ryan ihr nichts mehr …
Aber sie wollte nichts mehr für ihn empfinden, brauchte dringend Abstand zu ihm – in jeder Hinsicht.
Entschlossen holte Claire ihr Handy hervor und wählte die Nummer der Galerie.
Seit Jahren hatte die Arbeit bei ihr Vorrang gehabt, sie würde ihr während der kommenden Woche als Schutzschild gegen Ryan dienen.
Es klappte nicht. Claire hatte ihre Stellvertreterin in der Galerie angewiesen, sie tagsüber auf dem Laufenden zu halten, doch mittags zupfte sie unruhig an ihrem Ausschnitt und wartete auf den nächsten Anruf. Die Berichte kamen jetzt sogar stündlich, aber das reichte nicht.
Claire schob ihren Stuhl ein wenig vom Esstisch zurück, den sie zum „Scheidungszentrum“ umfunktioniert hatten, drehte sich zur Seite und versuchte, mit sanftem Kopfkreisen den Nacken zu entspannen. Es half nichts.
Ryan war überall. Vor ihrer Nase. Er war ihr im Weg. Ging ihr unter die Haut. Beugte er sich über sie, um sie auf wichtige Einzelheiten einer Immobilie aufmerksam zu machen, die an einen anderen Vermögenswert gekoppelt war, nahm sie den sauberen Geruch seiner Haut wahr, spürte die Wärme seines
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