Nur wenn du mich hältst (German Edition)
Unerwartete.
Um AJs willen sagte er nichts von seiner Unterhaltung mit der Lehrerin. Mrs Jackson hatte nicht den Eindruck gehabt, Yolanda habe ein Chance, unbeschadet aus dem Schlamassel herauszukommen. „So etwas passiert hier unten andauernd“, hatte sie erklärt. „Öfter, als den meisten Menschen bewusst ist. Die Arbeiter werden in U-Haft genommen und dann abgeschoben. Niemand macht sich Gedanken über die Kinder. Schulkinder dürfen mit ihren Eltern mitgehen, aber das wollen die Eltern meistens nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ms Martinez das für AJ auch nicht möchte.“
„Was passiert denn mit den Kindern, die nicht bei ihren Eltern bleiben?“
„Sie ziehen zu Verwandten, so es welche gibt, oder sie kommen in Heime oder Pflegefamilien. Und einige – meiner Meinung nach viel zu viele – fallen durchs Netz.“
„Was soll das heißen?“
„Sie … die Fürsorge verliert jede Spur von ihnen. Sie wohnen in Autos oder auf der Straße, manchmal auch in leer stehenden Wohnungen.“
„Und wie oft kehren Eltern zurück, um ihre Kinder zu holen?“
Es folgte eine Pause, so lang, dass er dachte, die Verbindung wäre unterbrochen worden. „Mrs Jackson?“
„Das habe ich noch nie erlebt.“
Er glaubte nicht, dass AJ irgendetwas davon wissen musste, und steckte das Handy weg. „Versuch, dir keine allzu großen Sorgen zu machen. Wir finden einen Weg, das mit deiner Mutter in Ordnung zu bringen.“
Der Junge sagte nichts, aber Bo meinte, den Zweifel aus jeder seiner Poren strömen zu spüren.
„Es wird schon wieder.“
„Das kannst du gar nicht wissen. Du weißt überhaupt nichts über mich.“
„Das stimmt, doch im Augenblick bin ich alles, was du hast.“ Er sah, wie die Miene des Jungen verkniffener wurde. „Tut mir leid, das kam falsch rüber. Ich will dir helfen, AJ. Mehr wollte ich damit nicht sagen. Es tut mir wirklich leid, dass deine Mutter dir nie irgendetwas Gutes über mich erzählt hat.“
„Sie hat mir überhaupt nichts über dich erzählt.“
Bo war überrascht. „Sie hat dir nicht erklärt, woher die monatlichen Schecks kommen? Die Sachen, die ich dir zum Geburtstag und zu Weihnachten geschickt habe?“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich weiß nichts von irgendwelchen Schecks. Und die Geschenke … über die haben wir auch nicht gesprochen. Sie hat sie mir einfach nur gegeben.“
Bo unterdrückte eine Welle der Wut auf Yolanda, die in ihm aufstieg. Viele Male, wenn er den Scheck ausstellte, hatte das bedeutet, dass er Mahlzeiten auslassen musste oder die Miete schuldig blieb, aber er hatte sie nie im Stich gelassen. Er hatte angenommen, es wäre das Mindeste, was er tun konnte, da sie ja immerhin ihr gemeinsames Kind aufzog. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass Yolanda nicht erklärte, woher die Geschenke kamen. Er biss die Zähne zusammen und schluckte hinunter, was ihm eigentlich auf der Zunge lag. „Vielleicht hat sie dir nichts erzählt, weil sie dir das Gefühl geben wollte, zu Bruno zu gehören.“
„Ich gehöre zu meiner Mom. Weder zu Bruno noch zu dir.“
„Wann hast du … von mir erfahren?“
„Als mein Dad … als Bruno wegging. Ich hatte angenommen, wir würden es so machen wie andere Familien, du weißt schon, man besucht das Elternteil, das geht, ab und zu und so. Aber Bruno wollte das nicht. Er sagte, das will er nicht, weil ich nicht zu ihm gehöre.“
Was für ein Arschloch, dachte Bo.
AJ hatte sich der Erkenntnis stellen müssen, dass sein Vater nicht mehr war als ein monatlicher Scheck und kein Mensch aus Fleisch und Blut. Bo fragte sich, ob der Junge ihn jemals als jemanden ansehen würde, der sich kümmerte, der ihn beschützte und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Yolanda zu helfen. Und ja, hinter diesen Überlegungen steckte vermutlich eine ganze Menge Stolz. Er war nicht der Penner, als den Yolanda ihn dargestellt hatte, und jetzt bekam er die Chance, seinem Sohn das zu zeigen.
„Ich sag dir was. Du kannst so lange bei mir wohnen, wie du willst. Und ich werde deiner Mom helfen. Zufälligerweise ist die klügste Anwältin der Welt mit meinem besten Freund Noah verheiratet“, erklärte er. „Ich schwöre bei Gott, das ist nicht übertrieben. Sophie ist Expertin für internationales Recht.“
„Meine Mom braucht einen Anwalt, der sich mit Einwanderungsrecht auskennt.“
Der Begriff klang aus seinem Mund verstörend erwachsen.
„Ist deine Freundin Anwältin für Einwanderrecht?“
„Sophie ist die Person, die uns am
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