Nur Wenn Du Mich Liebst
nicht. Es tut mir wirklich Leid, meine Süße.«
Tracey seufzte vernehmlich. »Und was ist mit morgen?«
»Wie wär's mit Sonntag?«, fragte Barbara zurück.
»Gehst du morgen Abend auch aus?«
»Howards Firma hat ihre alljährliche Party. Davon habe ich dir doch bestimmt erzählt.«
»Nein, hast du nicht.« Tracey lehnte sich an den Türrahmen. »Also, was läuft da? Magst du diesen Typen wirklich?«
Barbara zuckte die Achseln und versuchte gleichgültiger auszusehen, als sie war. Es gab keinen Grund, ihre Tochter unnötig zu beunruhigen. Sie und Howard trafen sich seit nicht einmal zwei Monaten, und es ließ sich unmöglich sagen, wohin das Ganze führen würde. »Ich mag ihn sehr gerne.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Gesicht zu, wischte die Reinigungsmilch mit einem Papiertuch ab, spülte mit warmen Wasser nach und tupfte ihre Haut trocken. »Vielleicht könntest du eine Freundin einladen und dir das Video mit ihr zusammen ansehen«, schlug sie vor, obwohl ihr im selben Moment einfiel, dass sie keine Freundin ihrer Tochter mit Namen hätte benennen können.
Tracey schüttelte den Kopf, aber nur so leicht, dass es ihre schulterlangen Haare nicht in Unordnung brachte. »Nein, lieber nicht.«
War es möglich, dass ihre Tochter keine Freundinnen hatte?
Barbara spürte Traceys prüfenden Blick auf sich, als sie routiniert ihr Make-up auflegte, beginnend mit einer Reihe von Feuchtigkeits- und Augencremes, gefolgt von einem Tupfer Abdeckcreme unter jedem Auge, Foundation, Rouge, hellblauem Lidschatten, dunkelblauem Eyeliner und tiefschwarzer Mascara. Dann zog sie mit einem dunkelroten Stift die Kontur ihrer Lippen nach, trug einen dunkel orangefarbenen Lippenstift auf und verwischte die beiden Farbtöne behutsam ineinander. »Wie ist das?«, fragte sie ihre Tochter, als sie mit ihrer Arbeit zufrieden war.
»Sehr hübsch.«
»Wirklich?«
»Wozu das ganze Theater?« Tracey folgte ihrer Mutter aus dem Bad in den begehbaren Kleiderschrank. »Ich meine, was bedeutet dir dieser Typ? Wollt ihr heiraten oder was?« Es war als Witz gemeint, doch Barbara erkannte den ernsten Unterton.
»Nein, natürlich nicht. Er ist bloß ein Freund.« Barbara zog ein schwarzes Cocktailkleid vom Bügel.
»Ist das ein neues Kleid?«
»Nicht direkt«, log Barbara.
»Das Preisschild hängt noch dran.«
Sofort hatte Barbara ein schlechtes Gewissen, ohne genau zu wissen, warum. Warum sollte sie sich schuldig fühlen, wenn sie eine Verabredung mit einem Mann hatte oder sich ein neues Kleid kaufte? Warum hatte sie Tracey deswegen belogen? »Nun, ich habe es letzten Monat gekauft, sodass es streng genommen nicht wirklich neu ist«, stellte sie richtig und fragte sich, warum sie das Gefühl hatte, sich ihrer Tochter gegenüber rechtfertigen zu müssen.
»Es ist schick.«
»Es war ein Angebot aus dem Laden. Zum halben Preis plus mein Angestelltenrabatt. Wie konnte ich da nein sagen?«
»Du musst nichts erklären.« Tracey ließ sich auf das Fußende von Barbaras Bett fallen und beobachtete, wie ihre Mutter ihren Bademantel abstreifte und vorsichtig ihr Kleid überzog. »Welche Schuhe willst du dazu tragen?«
»Das weiß ich noch nicht«, log Barbara erneut, eingedenk des neuen Paars schwarzer Pumps mit Pailetten und Zehnzentimeterabsätzen, die noch in ihrem Karton im Schrank standen. »Vielleicht kannst du Ariel anrufen.«
»Ariel? Warum sollte ich die anrufen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hätte sie Lust, vorbeizukommen und sich den Film mit dir anzusehen.«
»Sie ist ein Freak. Hast du sie in letzter Zeit mal gesehen?«
Barbara nickte und fragte sich, wie Susan das aushielt. Sie war dankbar, dass Tracey nicht den Drang verspürt hatte, sich ihre Haare abzusäbeln oder ihren Körper mit hässlichen Tätowierungen zu verunstalten. Bei Ariel waren es nach Susans letzter Zählung drei: ein pseudojapanisches Symbol auf der rechten Schulter, etwas, das aussah wie eine zerdrückte Pampelmuse auf dem linken Knöchel, und das Neueste, ein Spinnennetz auf der Rückseite ihres linken Oberschenkels. Wenn im Alter erst mal alles anfing, schlaff zu werden, würde das Spinnennetz aussehen wie Krampfadern. Barbara betrachtete die Rückseite ihrer eigenen Beine und suchte mit kritischem Blick nach unansehnlichen blauen Linien, fand jedoch zum Glück keine, wobei sie sich ohne ihre Kontaktlinsen nicht wirklich sicher sein konnte. Der einzige Vorteil des Alters bestand wahrscheinlich darin, dass es immer schwieriger wurde, den
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