Nur Wenn Du Mich Liebst
und sie war eine sehr gute Anwältin, dachte Vicki lächelnd.
»Vielleicht wäre es klug, wenn Sie selbst auch über einen Handel nachdenken würden, Frau Anwältin«, regte Michael an.
Vicki zog eine Augenbraue hoch. Sie sollte einen Handel mit der Staatsanwaltschaft machen und den größten Prozess ihrer Karriere platzen lassen? War der Mann verrückt? »Was hast du denn anzubieten?«
»Totschlag. Sie bekommt die Höchststrafe.«
»Und wovon träumst du nachts? Außerdem war sie es nicht. Warum sollte ich auf Totschlag plädieren?«
»Die Beweise sind ziemlich schlüssig. Schlagzeilen sind eine Sache, Substanz ist eine andere.«
»Eine Menge Leute lesen bloß die Schlagzeilen.« Mein Gott, wie lange brauchte dieser Fahrstuhl noch bis in den siebten Stock?
»Und das ist alles, worauf es dir ankommt, Schlagzeilen? Ich dachte, die Ermordete wäre eine Freundin von dir gewesen.«
»Meine Motive – und meine Freundschaften – gehen dich wohl kaum etwas an, Michael.«
»Gott, sie spricht meinen Namen aus. Schweig still mein Herz.«
Vicki atmete tief ein und schlug ihren versöhnlichsten Ton an. »Können wir das lassen?«
»Meine Frau hat die Scheidung eingereicht«, sagte er und schaffte es, so zu klingen, als wäre es ihre Schuld. »Wusstest du das?«
»Ja, ich glaube, ich habe davon gehört. Tut mir Leid.«
»Wirklich?«
»Nein, eigentlich nicht«, fauchte Vicki, deren Geduld nun endgültig verbraucht war. »Hör mal, ich will nicht klingen wie –«
»– wie ein mieses Luder?«
»Ich glaube, das Gespräch ist beendet.«
»Bin ich entlassen?«, fragte Michael, als die Tür des Fahrstuhls aufging.
Ohne ein weiteres Wort rauschte Vicki an ihm vorbei.
»Weißt du, ich freu mich wirklich darauf, dir den Arsch aufzureißen«, rief er ihr nach.
Vicki warf lachend den Kopf in den Nacken. »Für meinen Arsch bist du ein paar Nummern zu klein«, sagte sie, ohne sich umzusehen.
»Wie ich mich freue, Sie zu sehen.«
Vicki betrat den kleinen fensterlosen Raum am Ende des langen Flures. Die Wände waren in einem blassen Grün gestrichen wie eine zu reife Melone, das im Licht der in die Decke eingelassenen Neonröhren auch nicht freundlicher wirkte. In der Mitte des Raumes stand ein rechteckiger Tisch aus billigem Walnussholz, der mit Graffiti bedeckt war –
Es gibt keine Schwerkraft, das Leben zieht einen runter! Martin liebt Cindy, Cindy liebt Joanne. Leck mich. Scheiß auf die Scheißer. Scheiß auf die Anwälte. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße.
So viel
Scheiße
, dass Vicki bei ihrem letzten Besuch irgendwann aufgehört hatte zu zählen.
Sie setzte sich Tracey gegenüber an den Tisch auf den schwarzen Holzstuhl mit der geraden Lehne. Tracey sah erstaunlich gut aus, mal abgesehen von den deutlichen Anzeichen von Nervosität, nun doch bereits seit einem Monat in Untersuchungshaft zu sein. Ihre Gesichtsfarbe wirkte trotz des Neonlichts gesund, ihre Haare sauber und ordentlich gebürstet. Sie hatte keine Ringe unter den Augen, und auch sonst wies nichts darauf hin, dass sie sich nachts regelmäßig in den Schlaf weinte. Die hellblaue Gefängnisuniform stand ihr sogar richtig gut. An ihren Armen zeichneten sich neue Muskeln ab, als hätte sie trainiert, was vermutlich der Fall war. Vicki schauderte, als sie erkannte, dass Tracey das Leben im Helen-Marshall-Frauengefängnis offensichtlich bestens bekam.
»Ist alles in Ordnung?«
»Oh ja«, sagte Tracey munter. »Bis auf meine Zellengenossin. Deswegen habe ich Sie angerufen. Sie müssen dafür sorgen, dass sie verlegt wird.«
Vicki grub ihre frisch manikürten Fingernägel in das Krokodilleder ihres Aktenkoffers, der vor ihr auf dem Tisch lag. »Und das war so dringend, dass du mich sofort sehen musstest?«
Tracey wirkte ehrlich überrascht über Vickis Unwillen. »Sie sitzt den ganzen Tag nur auf ihrem Bett und weint. Das geht einem nach einer Weile ziemlich auf die Nerven.«
»Weswegen weint sie denn?«
Tracey zuckte die Achseln, und mehrere lockige Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Sie strich sie zurück, doch eine löste sich wieder. »Sie jammert die ganze Zeit rum. Dass es ihr Leid tut, was passiert ist. Dass sie nicht so fest zutreten wollte. Dass sie zu ihrer Mami will. Und so halt.«
»Das ganze Gerede über ihre Mutter wühlt dich vermutlich auf«, formulierte Vicki wohlwollend.
»Na ja, es geht mir wie gesagt auf die Nerven.«
»Vermisst du deine Mutter, Tracey?«
Die Frage schien Tracey zu überraschen. Sie zog die Schultern
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