Nur Wenn Du Mich Liebst
Sie stand vollkommen still und starrte an die Wand.
Vicki zitterte mit angehaltenem Atem am ganzen Körper. Mein Gott, hatte Tracey gerade tatsächlich zugegeben, ihre Mutter ermordet zu haben? Würde sie jetzt gestehen? Vicki spürte, wie ihre Muskeln wachsweich wurden und hielt sich an der Tischkante fest, um nicht vom Stuhl zu rutschen.
»Darum«, wiederholte Tracey, und Tränen kullerten über ihre Wangen.
»Erzähl mir, was in jener Nacht passiert ist, Tracey.«
Tracey schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht.«
»Bitte.« Als Vicki aufstand und auf Tracey zuging, die angefangen hatte, sich immer schneller und manischer im Kreis zu drehen, schlugen ihre Knie gegeneinander. Vicki breitete die Arme aus und drückte das Mädchen an sich, während ein verzweifelter Klagelaut aus Traceys Kehle drang.
»Ich kann es Ihnen nicht erzählen. Bitte zwingen Sie mich nicht. Ich kann nicht. Ich kann nicht.«
Vicki führte Tracey zu ihrem Stuhl, ließ sie Platz nehmen und hockte sich auf wackeligen Knien vor sie, als die Tür aufging und eine muskulöse Wärterin mit einem überraschend zarten Gesicht hereinschaute.
»Alles in Ordnung hier?«, fragte sie.
»Ja, vielen Dank«, erklärte Vicki der Frau, obwohl in Wahrheit gar nichts mehr in Ordnung war und je wieder in Ordnung sein würde. Es würde nur noch viel schlimmer werden. Davon war sie überzeugt.
»Erzähl mir, was passiert ist, Tracey.«
»Sie werden mich hassen.«
»Ich werde dich nicht hassen.«
»Ich wollte es nicht tun.«
»Das weiß ich.«
»Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich habe sie angefleht aufzuhören.«
»Aufzuhören? Womit sollte sie aufhören?«
Tracey schüttelte so vehement den Kopf, dass ihre Strähnen gegen ihren Hals peitschten und sich an Vickis Wange verfingen. Vicki schossen Tränen in die Augen, die sie jedoch zurückdrängte, während sie auf Traceys Antwort wartete.
»Es war gegen neun Uhr«, begann Tracey. »Chris war schon gegangen. Mom meinte, sie wollte ein schönes heißes Bad nehmen und dann ins Bett kriechen.« Tracey hielt inne und starrte so eindringlich auf die gegenüberliegende Mauer wie auf eine Leinwand. »Sie hat mich gebeten, ihr den Rücken zu schrubben, was ich auch getan habe. Dann hat sie mich gefragt, ob ich in ihrem Bett schlafen wollte. Ich habe früher oft in ihrem Bett geschlafen, aber in letzter Zeit nicht mehr. Ich fand das keine so gute Idee mehr.«
Beklommen verlagerte Vicki ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Worauf sollte das alles hinauslaufen?
»Ich habe eingewilligt, obwohl ich nicht wollte. Ich wollte nicht, dass sie...«
»Was wolltest du nicht?«, wiederholte Vicki mit einer Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte.
»Sie wissen schon.«
»Ich weiß es nicht.« Was wollte Tracey ihr sagen?
»Ich wollte nicht, dass sie mich anfasst.«
»Dich anfasst? Was soll das heißen, dich anfasst?« Vicki erhob sich, und ihre Arme zitterten zornig.
»Sie sind wütend«, sagte Tracey sofort. »Sie hassen mich. Ich wusste, dass Sie mich hassen würden.«
Natürlich hasse ich dich, du dummes, verlogenes Gör, wütete Vicki innerlich. Doch stattdessen sagte sie: »Natürlich hasse ich dich nicht. Weiter. Bitte, Tracey, erzähl mir, was passiert ist.« Und dann fahr zur Hölle, du falsches kleines Biest!
»Sie hat mich dauernd angefasst.«
»Sie war deine Mutter, Tracey. Mütter fassen ihre Töchter an.«
»Aber nicht so. Nicht an den Brüsten oder zwischen den Beinen.«
»Deine Mutter hat dich zwischen...« Vicki brachte es nicht über sich, die Worte auszusprechen. Es bedurfte all ihrer Willenskraft, die miese kleine Lügnerin nicht zu ohrfeigen oder zu würgen.
»Sie hat es immer unser kleines Spiel genannt. Wir haben es seit Jahren gespielt. Ich habe gesagt, dass ich es nicht mehr spielen wollte. Aber sie hat gesagt, ich hätte keine Wahl, sie wäre meine Mutter und könnte tun, was sie wollte. Ich habe sie angefleht aufzuhören. Ich habe sie angefleht, mich in Ruhe zu lassen. Aber das hat sie nicht. Sie hat ihren Verlobungsring abgenommen, über meinen Finger gestreift und gesagt, ich wäre ihre einzige wahre Liebe.«
Vicki wandte den Blick ab. »Und was dann?«
»Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Ich habe es wahrscheinlich verdrängt. Nachdem es vorbei war, ist sie eingeschlafen. Und ich habe bloß zitternd dagelegen. Irgendwann in der Nacht bin ich nach unten gegangen und habe den Golfschläger aus dem Schrank im Flur geholt. Es war, als ob ich in einer Art Trance
Weitere Kostenlose Bücher