Nur Wenn Du Mich Liebst
das, was als keusche Dankesbekundung gemeint gewesen war, sich zu etwas ganz anderem entwickelte. Susan spürte, wie ihr Körper unter der sanften Berührung ihres Mannes erwachte, wie ihre Sinne, die eben noch kurz vor dem völligen Zusammenbruch schienen, plötzlich geschärft und hellwach waren und jede neue Liebkosung begierig erwarteten.
»Bist du so weit?«, fragte er kurz darauf, und sie nickte und schlang die Beine um seine Hüfte, als er in sie eindrang. Ihre Körper wiegten sich ruhig und harmonisch, bis Owen erneut fragte: »Bist du so weit?« Als Susan nickte, stemmte Owen sich auf die Knie, seine Stöße wurden tiefer, bis sie ein Kribbeln am ganzen Körper spürte, das ihren Kopf schwirren und jede Faser ihres Seins vibrieren ließ. Darüber erfährt man im Biologieunterricht nie etwas, dachte sie, während ihr ganzer Körper zu explodieren bereit war. Dort wurden kalte klinische Worte wie
Klimax
oder
Orgasmus
benutzt. Ersteres bezeichnete für sie vor allem eine rhetorische Figur, Letzteres klang wie etwas, das die Mauern des Versuchslabors nie verlassen sollte. Beide trafen nicht einmal annähernd, was geschah, wenn zwei sich liebende Menschen miteinander schliefen: die totale und reine Freude völliger Hingabe.
»Wer hat multiple Orgasmen?« Susan erinnerte sich an die Frage, die Vicki an dem Super-Bowl-Sonntag vor acht Monaten gestellt hatte.
»Ich hatte noch nie einen Orgasmus«, hatte Chris zugegeben, und Barbara hatte gestanden, ihre immer nur vorzutäuschen. Selbst Vicki hatte eingeräumt, dass sie nicht beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kam. Als die anderen sie bedrängt hatten, hatte Susan abgewehrt und die Küche unter einem Vorwand verlassen. Lieber schüchtern wirken als selbstzufrieden, hatte sie gedacht und den anderen nicht erzählt, dass sie geradezu beunruhigend regelmäßig einen Orgasmus hatte. Manchmal musste Owen nur einen bestimmten Punkt an der Seite ihres Halses berühren...
Vielleicht bin ich bloß leichter zu befriedigen, dachte Susan jetzt, obwohl sie sich selbst nie für eine ausgesprochen erotische Frau gehalten hatte, jedenfalls ganz bestimmt nicht für sexy. Durchaus attraktiv, vor allem, wenn sie ein paar Pfund abspecken könnte, aber nicht annähernd so hübsch wie Barbara, Chris oder Vicki. Und wahrscheinlich würde sich keine Frau ein Bein ausreißen, ausgerechnet Owen ins Bett zu kriegen. Sie würde sich Barbaras Mann Ron aussuchen, weil er groß und gut aussehend war, oder auch Chris' Mann Tony, weil er großspurig und draufgängerisch war. Und sie würden sich alle falsch entscheiden.
Am Ende sind wir die Summe unserer Entscheidungen.
»Wie geht's dir?«, fragte ihr Mann jetzt.
»Gut«, schnurrte Susan. »Sehr gut.«
Sekunden später schlief sie in die Arme ihres Mannes gekuschelt friedlich ein.
»In unserem Überblick über die liturgischen Anfänge des Theaters«, erklärte Professor Ian Currier einem Kurs von etwa fünfundvierzig nicht unbedingt enthusiastischen Studenten, »haben wir über einige Stücke aus dem 12. Jahrhundert gesprochen, die durchaus von künstlerischem Wert sind, vor allem jene aus dem Dramenbuch von Fleury.«
Susan rutschte auf ihrem harten Holzsitz hin und her und kämpfte dagegen an, dass ihr die Augen zufielen. Ich muss mehr schlafen, stellte sie fest, obwohl offen blieb, wie sie das schaffen sollte bei all den Seminaren, Essays und Referaten, der Vorbereitung auf Tests und Prüfungen, der Verantwortung für zwei kleine Töchter – Whitney war zum Glück in jeder Beziehung pflegeleichter als Ariel, was jene nur noch schwieriger machte – und einem Mann, der sich auf gar keinen Fall vernachlässigt fühlen sollte. Susan wusste, dass der Tag nur begrenzt viele Stunden hatte – oder genauer gesagt die Nacht, wenn sie sie am nötigsten brauchte. Sie richtete sich gerader auf, streckte ihren Rücken, unterdrückte ein Gähnen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem leise nölenden Tonfall von Professor Curriers Stimme zu, der seinen gelangweilten Lebensüberdruss für jedermann deutlich kundtat. Was machte sie hier? Was glaubte sie, welche Türen ihr ein Magister in Literatur öffnen würde?
»Doch auch in Fleury waren die Stücke eng an den jeweiligen liturgischen Anlass gebunden, und sie wurden abschnittweise während des normalen Gottesdienstes gesungen«, fuhr Professor Currier fort. »Wie wir in
The Conversion of St. Paul
sehen werden, hält sich das Stück, das wahrscheinlich zum Fest der Bekehrung des heiligen
Weitere Kostenlose Bücher