Nuramon
benachbarten Waffenhalle womöglich mehr Zeit als im oberen Teil des Palastes – die Zeit, in der er in seinem Bett lag und schlief, eingerechnet.
Auch Daoramu nahm ihre Mahlzeiten am liebsten hier unten ein und unterhielt sich mit den Leuten. Hier fühlte sie sich wie die Tochter des Hausherrn in der guten Stube einer Großfamilie. Heute würde sie sich zu Yurna und ihren Leuten gesellen. Die Erste Botin im Fürstentum war nun in ihren Fünfzigern. Ihre Kinder waren erwachsen, ihr Mann war mit einer anderen davongezogen, und in der Fürstenfamilie fand sie Halt und war mit ihrer Erfahrung von ungeheurem Nutzen für den Thron.
Daoramu wollte sich vor dem Essen Gewissheit verschaffen, ob Gaerigar tatsächlich in der Schwerthalle war. Sie seufzte. Wozu auf etwas anderes hoffen? Gaerigar saß sicherlich nicht oben in der Studierstube über seine Schriftrollen gebeugt. Mit einem fragenden Blick sah sie erst Yurna an und deutete dann auf das Seitentor zur Gefechtshalle, hinter dem gedämpfte Schläge herausdrangen. Yurna nickte und lächelte.
Daoramu grüßte die Wachen, und als diese ihr das Tor öffneten, schlug ihr der Krach von Stockschlägen entgegen. Gaerigar kämpfte mit einem schweren Holzschwert gegen Nylma, und Daoramu hatte nicht den Eindruck, als würde sich ihre Freundin bemühen, ihren Sohn zum Verlassen der Waffenhalle zu bewegen.
Mit einem leisen Seufzen lehnte Daoramu sich an die kühle Steinwand und sah ihrem Sohn zu. Er machte sich gut, war flink auf den Beinen, wich geschickt aus und erkannte die Finten, mit denen Nylma ihn lockte. Die Feldherrin führte eine kurze Holzklinge. Sie war zu einer Meisterin des Kurzschwertes geworden. Nuramons Erzählungen über die elfischen Kurzschwerter und die Drachentöterin Gaomee – die Tochter, die er nie kennengelernt hatte – hatten sie beeindruckt.
Daoramu schaute dem Kampf eine Weile lang zu, dann rief sie Gaerigars Namen.
Die Gardisten verbeugten sich vor Daoramu, nun, da sie sich offenbart hatte, und auch ihr Sohn schaute zu ihr herüber. Sofort legte Nylma ihm die Holzklinge an die Kehle, und Gaerigar hob die Arme und ergab sich der Feldherrin. Die Krieger klatschten, während er Daoramu einen finsteren Blick zuwarf.
Nylma klopfte Gaerigar auf die Schulter. »Wenn irgendwer in der Schlacht deinen Namen ruft, solltest du nicht unaufmerksam werden.«
Gaerigar holte tief Luft, dann nickte er und bedankte sich. »Das ist ein guter Rat«, murmelte er.
»Schön, dich einmal einsichtig zu sehen«, erwiderte Nylma und reichte die Holzwaffen an zwei ihrer Leute. »Aber es ist nicht einfach, im Kampf seinen Namen zu hören und einfach weiterzukämpfen. Was, wenn es einer deiner Freunde ist?«
»Ich werde beim nächsten Mal trotzdem nicht wegschauen«, sagte er.
Nylma tauschte ein Lächeln mit Yargir. »Das sagst du jetzt.«
Darauf schwieg Gaerigar.
»Wir alle haben unsere Schwächen«, sagte Yargir. »Auch unsere Feinde.«
Gaerigar grinste. »Hast du je den Namen eines Feindes auf dem Schlachtfeld gerufen?«
»Nein. Aber dein Vater vergisst nie einen Namen. Er hat mir mal den Hals gerettet. Ein feindlicher Schwertfürst brachte mich in Bedrängnis. Dein Vater sah es und rief seinen Namen. Der Bursche wich zurück, schaute sich um – und ich war erlöst.«
Gaerigar nickte anerkennend, und Daoramu lächelte. Sie mochte es, wenn ihr Sohn stolz auf seinen Vater war. Nuramon hätte gewiss davon geredet, dass nichts Ehrenhaftes an solchem Vorgehen sei und er es nicht auf ein Podest heben sollte, aber es kam inzwischen selten genug vor, dass Gaerigar mit offenem Wohlwollen auf Nuramons Taten und seine Haltung zum Krieg und dem Sterben reagierte. Sie trat näher. »Warst du bei dem Schreiber?«, fragte sie, während sie ihren Sohn zu seinen Sachen führte.
»Nein«, sagte er mit zorniger Miene. »Und ich habe mich ent schieden. Ich möchte zu Jasgur. Er würde mich jederzeit zum Schwert schüler nehmen.«
»Du willst also das Versprechen brechen, das du mir und deinem Vater gegeben hast?«, fragte Daoramu.
»Ich hoffe, ihr entlasst mich daraus.«
»Wenn du weitermachst, kannst du schon in zwei Jahren als Bote arbeiten«, sagte sie. »Du hast es nur deinem Vater zu verdanken, dass ich dieser Ausbildung überhaupt zustimmte. Wenn du aber nun unbedingt bei Jasgur in die Lehre gehen willst, sind das vier weitere Jahre, ehe du ein wenig Verantwortung übernimmst. Hast du nicht immer davon geträumt, mit deinem eigenen Pferd unterwegs zu sein? Und nun
Weitere Kostenlose Bücher