Nuramon
Wenn ihr jedoch den Rückzug antretet, füllen wir eure Wasserschläuche in der Quelle auf. So haben jene, die jetzt verwundet sind, einen Nutzen.«
Der varmulische Schwertfürst überlegte, nickte dann, wandte sich seinen Leuten zu und rief: »Her mit den Wasserschläuchen!«
Die Heere trennten sich, und die Ilvaru erfüllten Nuramons Versprechen. Während Waragir die Varmulier weiterhin im Auge behielt, saß Nuramon neben der Quelle an Bjoremuls Seite und versorgte dessen Wunden. Sein Blick ruhte dabei auf Muregal, seinem Schwertbruder, den er nicht hatte retten können.
»Bring mich nicht um meinen Tod«, sagte Bjoremul. »Wenn auch nur der Hauch des Anscheins entsteht, dass ich einen weiteren Verrat begangen habe, wäre das eine Katastrophe.«
»Bist du stark?«, fragte Nuramon.
Bjoremul schüttelte den Kopf. »Lass mich ziehen«, flüsterte er.
»Du bist jetzt mein Gefangener. Und glaub mir: Ich werde keinen Zweifel daran lassen, dass du mein Feind bist. Bist du stark genug, das durchzustehen?«
Bjoremul schaute ihn mit verständnisloser Miene an. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Vertraust du mir?«, fragte Nuramon.
Bjoremul starrte ihn lange an, als überlegte er es sich gründlich. »Ja«, sagte er schließlich.
Nuramon wandte sich der Quelle zu. Seine Wunden schmerzten schlimmer denn je. Er hatte noch keine Zeit gehabt, um sich selbst zu heilen. So musste nun das Quellwasser den Zauber vollbringen »Wie ist es dir ergangen, als du im Osten warst?«, fragte er Bjoremul, während er Wasser über seine Armwunde goss. »Ich hörte, dass ihr allerlei tun musstet, um die Taten von Teredyr wiedergutzumachen.«
»Mirugil glaubte nicht, dass ich auf eigene Faust gehandelt habe. Er nutzte die Gelegenheit, um Varramil und Dorgal und deren Familien gefügig zu machen. Ich verbrachte fünf Jahre im Gefängnis. Wer von meinen Vertrauten keine Fürsprecher hatte, war des Todes.«
»Und wie hast du überlebt?«
»Das habe ich der königlichen Gnade zu verdanken. Nach den fünf Jahren in den Silberminen im Süden fing ich von vorn an. Ich wusste nicht, was Demütigungen sind, als ich nach Varlbyra zurückkehrte. Ich dachte, die Silberminen hätten mich Demut gelehrt, aber in der Hauptstadt stand ich ziemlich allein da. Aber dann lernte ich eine Frau kennen, der es gleichgültig war, was andere über mich sag ten. Und schon war ich erpressbar. Als unsere Tochter geboren wurde, wurde es noch schlimmer. Der König hielt uns in seiner Nähe, damit ich wusste, dass Dyra und Lyasani in Gefahr wären, sollte ich ihn je enttäuschen.«
»Und nun fürchtest du um sie«, sagte Nuramon.
»Ja«, sagte Bjoremul leise. »Und wenn der König nicht glaubt, dass ich dein Gefangener bin, wird er ihnen etwas antun.«
Nuramon nickte. »Also frage ich dich noch einmal: Bist du stark genug?« Er deutete auf die Pfähle am Ufer. »Stark genug, um hundert Peitschenhiebe einzustecken?«
Bjoremul grinste gequält. »Du alter Fuchs!«
Das Haus Yannaru
Daoramu betrat mit Nylma und den Gardisten den Palast. »Ich werde nach Nerimee sehen«, sagte sie. Sie war schon auf der Treppe nach oben, als sie sich noch einmal zu der Kriegerin umwandte. »Falls du Gaerigar wieder bei deinen Leuten findest, sag ihm, dass ich ihn erst am Nachmittag in der Schwerthalle wissen möchte. Nicht früher. Schick ihn zu den Schreibern.«
Nylma grinste. »Ich versuche es.«
Auf dem Weg zu den Gemächern der Fürstenfamilie kam Daoramu die Kindermagd Obura entgegen und beugte das Haupt vor ihr.
»Ist Yendred wieder einmal auf Reisen?«, fragte Daoramu.
»Ja, Herrin«, antwortete die Magd. »Ich schaue in den üblichen Verstecken im Keller nach.«
Daoramu nickte. »Aber such nicht zu lange. Wenn er Hunger hat, lässt er sich schon blicken.«
Obura verbeugte sich, dankte und schritt davon. Daoramu lächelte. Gewiss war Yendred wieder in Nuramons Zauberkammer und schaute dort aus einem der Fenster nach Norden über die Stadt hinweg oder nach Westen aufs Meer hinaus. So ging Daoramu erst einmal an Nerimees Zimmer vorüber, folgte dem Gang ans Ende und wandte sich nach links; doch dann vernahm sie Stimmen von rechts, aus Cerens Zimmer. Sie schritt leise an die Tür heran und öffnete sie einen Spalt.
Yendred saß mit überkreuzten Beinen auf dem Boden Ceren gegenüber und fragte sie: »Und wenn meine Magie nicht wächst?«
»Das wird sie schon«, antwortete die Geisterfrau. »Vielleicht nicht so weit wie bei deiner Schwester, aber selbst wenn die
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