Nuramon
Daoramu sich sicher. Und genauso verging sie. Sie wurde durchscheinender – und dann war sie verschwunden.
Daoramu weinte und schaute zu Nuramon, der schweigend die Feuerschale betrachtete. Schließlich wagte er es, den weißen Stein aus den Flammen zu nehmen. Er wischte den Ruß ab, und mit einem kleinen Hammer und einem Meißel schlug er zögerlich ein zwei Daumen dickes, längliches Stück des Steines ab. Dann fuhr er immer wieder mit den Fingern über das Fragment. Er glättete es und formte es mit seiner Magie. Und als es tränenförmig war und er mit einem Zauber ein Loch hindurchgestochen hatte, gab er es Nerimee und legte dann den großen Rest des weißen Steins zurück ins Feuer.
Wie gebannt starrte Daoramu in die Flammen, doch nichts geschah.
Ceren war fort.
Während der Chor des großen Tempels das Lied der Ahnen sang und schließlich in ein leises Summen verfiel, wirkten Nuramon und Nerimee ihre Zauber. Daoramu schloss die Augen und dachte an die Zeit mit Ceren. An Alvarudor, ihre und Nylmas Schwangerschaft, an die Jahre hier im Palast, an Worte, die sie gesprochen hatten. Es waren schöne, tröstliche Gedanken.
Gewiss eine halbe Stunde verging, dann war das Werk vollbracht. Ihr Geliebter und ihre Tochter näherten sich ihr. Nerimee hielt nun eine Kette mit kleinen Muscheln in Händen, an der das Steinfragment hing. Daoramu lächelte, doch tief in ihrem Inneren fürchtete sie sich vor der Last, die sie ihr brachten.
»Das ist das Erbe der Ceren«, sagte Nuramon. »Ein letztes Geschenk – von ihr, für dich.«
Daoramu spürte die Blicke der Versammelten, als Nerimee ihr behutsam die Kette umlegte. Vorsichtig fühlte sie in sich hinein und wartete auf ein Kribbeln, ein Ziehen – auf irgendetwas. Doch der Stein legte sich lediglich angenehm kühl in ihren Ausschnitt. Nichts weiter. Doch in den Gesichtern von Nerimee und Nuramon fand sie die Antwort, die sie suchte. Sie nickten behutsam.
Mit einem Lächeln kämpfte sie gegen die Tränen an.
»Auf eine Zeit ohne Ängste«, flüsterte Nuramon ihr ins Ohr und küsste sie.
Sie war so aufgewühlt, dass sie nichts zu sagen wusste. Der Verlust Cerens schmerzte und weckte Schuldgefühle, und die Aussicht, nicht zu altern und vielleicht für immer an Nuramons Seite zu sein, überwältigte sie.
Nach einer Weile holte Nerimee den weißen Stein aus den Flammen und führte die Trauergemeinschaft hinaus in den Park hinter dem Palast. Drei Fürstengardisten hoben nahe der Klippe ein Loch aus, an der Stelle, an der Ceren es sich gewünscht hatte. Nach einer Weile trat Nuramon mit dem weißen Stein vor, hob den Kopf, als lauschte er dem Meeresrauschen und dem Gesang der Möwen. Schließlich bestattete er die Überreste von Cerens Körper.
Daoramus Vater ließ die Tafel, die er hatte anfertigen lassen, aus den Ahnenhallen unter dem Palast holen. Zwei Wachen legten sie an ihren Platz. Sie war aus Holz, und auf Elfisch und auf Arlamyrisch stand dort: »Hier ruht Ceren, die Mutter Nuramons.«
Cerens Stein war seit fünf Tagen begraben, und sie alle vermissten ihre Vertraute. Ein Mitglied der Familie war fort und nur noch in den Erinnerungen lebendig – und in dem weißen Stein, den Daoramu an der Kette trug.
Nuramon war hin- und hergerissen. Er hatte sich von Ceren zu etwas treiben lassen, und nun, da es geschehen war und sie ihr Ziel erreicht hatten, zweifelte er, ob er das Richtige getan hatte. Sie hatten Daoramu eine Elfengabe überreicht. Solange sie die Kette trug, würde sie stets wie eine Frau in der Blüte ihres Lebens aussehen. Und die Verwunderung der Leute, die nun bereits betonten, sie könne bei ihrem Aussehen unmöglich schon neununddreißig Jahre alt sein, würde mit den Jahren immer weiter wachsen. Doch der Preis für diese Gabe war Cerens Leben gewesen.
Daoramu hatte ihn gefragt, ob er Abscheu vor dem Lebensstein empfand, den sie trug, aber er tat es nicht. Und dann erzählte sie Nura mon von ihren Schuldgefühlen, weil ihr das Ableben Cerens einen Nutzen gebracht hatte. Als sie ihm sagte, dass sie die Macht des Steines nicht spüren konnte, fragte Nuramon sich, ob er ihr dieses Gefühl mit seiner Zauberkraft vermitteln sollte. Dann aber entschied er sich dagegen, weil er fürchtete, dass die pochende Macht des weißen Lebenssteins zum Pulsschlag ihrer Schuldgefühle werden könnte.
In der Nacht aber, als Daoramu rastlos mit der Kette spielte, glaubte Nuramon, dass ihr das Gefühl der Veränderung, die der Zauber barg, helfen konnte. Er
Weitere Kostenlose Bücher