Nuramon
über die Pflanze. Sie strahlte vor Magie. Und wie man sich an einen Duft erinnerte, so erinnerte sich Nuramon an den magischen Hauch, den er spürte. »Es ist Ceren«, sagte er.
Daoramu umfasste ihre Kette. »Es ist ein Zeitalter der Wunder«, sagte sie, und als Nuramon in ihr lächelndes Gesicht sah, erkannte er, dass die Last der letzten Wochen aus ihren Zügen verschwunden war.
Orakelblick
Lyasani fühlte sich wie das jüngste Kind der Familie Yannaru. In Varlbyra hätte sie sich einen Ort wie diesen nicht vorstellen können. Sie hatte dort den Königsbezirk nicht verlassen dürfen, doch hier war sie oft in der Stadt unterwegs, mal mit Jaswyra, mal mit ihren Eltern, am liebsten aber heimlich mit Yendred. Oft saß sie mit ihm auf den Weiden im Westen der Insel und starrte aufs Meer hinaus. Jasbor war ihre Hei mat geworden, und sie vermisste Varlbyra nicht. Anders als ihre Mutter.
Dyra konnte es nicht mehr hören. Sie mochte es nicht, wenn wieder einmal jemand, der ihr in der Stadt begegnete, sie für ein Mitglied der Familie Byrrunur hielt, nur weil sie an ihrem Teint als Südländerin zu erkennen war. Sie war aber eine Varmulierin, und die Byrrunur waren in ihrer Heimat verachtet; eine Familie der Worte, nicht der Taten. Sie hatte sich bemüht, die Last der Vergangenheit abzulegen und mit frischem Blick auf Jasbor zu schauen, doch sie konnte Terbarn und dessen reiche Familie nicht ausstehen, und wenn sie die Bewunderung der Jasborer für die Byrrunur bemerkte, brodelte es in ihr. Und sie fürchtete sich, was geschehen würde, wenn Bjoremul etwas zustieß, wenn Lyasani auf einem ihrer heimlichen Abenteuer mit Yendred entführt würde. Es musste nur wenig geschehen, und das bisschen, das ihr noch Halt bot, zerbrach.
Merryn Lysgoru war überrascht, als ihn der Ahnenpriester im Kerker besuchte. Das war die Antwort auf die Frage, warum Borugar ihn nicht vom Kerker der Jasborer Stadtwache aufs Festland in die Gefängnisfestung Byrulsal verlegt hatte. Der Fürst hatte sein Todesurteil gesprochen. Merryns Racheplan, der mit der Entführung Nerimee Yannarus begonnen und zugleich geendet hatte, war gescheitert. Nach Graf Flarigor, dessen Abgesandten und deren Gehilfen würde es nun also auch ihn treffen. Sie wagten es, ihn, den Neffen Fürst Yarros; ihn, den rechtmäßigen Erben des Throns hinzurichten! Wo waren seine Fürsprecher? Wo waren all jene, die seinem Onkel treu ergeben waren? Die Menschen mussten verrückt geworden sein!
Der Ahnenpriester fragte ihn, ob er etwas bereue, doch er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er würde die Haltung bewahren, wenn sie ihn vor den Henker führten. Als es aber so weit war und er unter dem Richtschwert lag, flehte er um Gnade. »Das könnt ihr nicht tun!«, rief er. »Ich bin Merryn Lysgoru! Habt Erbarmen!«, kreischte er. Da sah er Nerimee Yannaru, die ihm mit angewiderter Miene entgegenschaute. »Ich kann es wiedergutmachen«, rief er ihr zu. Das waren seine letzten Worte.
Waragir bewunderte Bjoremul. Der Wyrenar hatte ihm in den letzten zehn Monaten Dinge beigebracht, die ihm weder seine Eltern noch Nuramon hätten vermitteln können. Bjoremul war ein Künstler und eine Naturgewalt zugleich. Am Ende nickte sein neuer Lehrmeister und sagte: »Deine Eltern haben dich bis unter den Gipfel gebracht. Jetzt bist du am Ziel.«
Yenwara lauschte den Feldherren an der Seite ihres Gatten. Sie redeten von Magie und Hoffnung. Überall im Königreich sprudelten magische Quellen, und nun – zum ersten Mal – vermochten einige Menschen diese Kraft, die bislang nur der Alvaru beherrschte, für ihre Zwecke zu nutzen. Wäre es doch nur zum Guten gewesen, nicht aber zum Krieg! Das neue Bündnis mit dem Fürstentum Helbyrn im Süden würde alles nur noch schlimmer machen. Statt aus einem Waffenstillstand einen Frieden zu schmieden, wollte Mirugil die Yannadrier in Sicherheit wiegen. Bis zu dem Tag, da der große Schlag folgte – ein Schlag mit geballter, magischer Macht.
Borugar war gemeinsam mit Nuramon in der Kammer der Yanna. Ihre Statue erhob sich hinter ihrem Sarg. Sie war mit einem Schwert und einer Schuppenrüstung dargestellt. In ihrem Rücken befand sich der Sarg ihres Mannes Rangaro, der auf einer Tafel als Schäfer abgebildet war.
»Die Könige aus dem Hause Yannaru haben nie mit Neid auf das Land der Nachbarn geschaut«, sagte Borugar. »Sie haben nie mit Lust auf Ruhm und Beute den Krieg gesucht.« Er wies auf die Statue. »Schau dir ihr Gesicht an. Fast als wolle sie
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