Nuramon
tastete nach der Kette und fand darüber Daoramus Hand, in die der kleine, weiße Stein eingeschlossen war. Er strich ihr über die Finger und ließ sie die Macht spüren, die in dem Kleinod wie ein Herz pochte.
Daoramu seufzte erleichtert, als hätte sie die ganze Zeit auf diesen Augenblick gewartet. Beim Liebesspiel fügte der Stein sich zwischen sie, und als Daoramu von Nuramon hinabglitt und eng an ihn geschmiegt blieb, ruhte der Stein auf seiner Schulter, und seine magischen Sinne strebten durch das Kleinod hindurch, die Kette entlang, bis zu Daoramus Hals und zu ihrem Puls, der sich nur langsam beruhigte. Es war wie ein neuer Weg, der sich zwischen ihnen geöffnet hatte.
Nach einigen Tagen bemerkte Daoramu den Zauber an Kleinigkeiten, die sie ihm stets lächelnd anvertraute. Sie benötigte weniger Schlaf, erholte sich rascher von körperlicher Anstrengung und hatte weniger Appetit und Durst als früher.
Nuramon genoss die Zeit in Jasbor, und am liebsten wollte er dem Krieg für immer fernbleiben. Er sprach mit Borugar darüber. »Ich will nur noch bewahren, nicht mehr zerstören«, sagte er seinem Schwiegervater.
»Ich könnte die Ilvaru in andere Hände geben«, entgegnete der Fürst. »Aber bedenke, welche Auswirkungen das hätte. Der Schein zählt viel, und allein deine Anwesenheit erhöht die Moral der Krieger.« Er seufzte. »Wärest du einverstanden, den Oberbefehl über die Ilvaru zu behalten, aber deinen Schwertfürsten die Verantwortung zu übertragen und nur in Notfällen in den Kampf zu ziehen?«
»Wenn es nur Notfälle wären«, sagte Nuramon.
»Deine Leute haben ohne dich gegen die Nyrawuri gekämpft und gute Arbeit geleistet«, sagte Borugar. »Bjoremul ist ein großer Anführer, und Waragir wird es gewiss bald werden. Ich verspreche dir, dass ich dich nicht ohne Not ins Feld schicke. Und du und Nerimee, ihr könntet weitere Schilde und vielleicht sogar Rüstungen schaffen. Sie sind ein wahres Wunder. Binde deine Macht an die Gegenstände, und dein Zauber begleitet unsere Leute, indem er ihre Leben schützt.«
Damit war Nuramon einverstanden.
In den nächsten Wochen arbeitete er mit Nerimee an den Rüstungen. Hatte seine Tochter sich mit der Arbeit von ihrer überstandenen Entführung abgelenkt, schien sie nun den Verlust Cerens bewältigen zu wollen. Dass sie mit ihm nicht darüber sprechen wollte, respektierte er; schließlich war Waragir da, dem sie sich anvertrauen konnte.
War Nerimee schweigsam, so bestürmte Yendred sie alle mit im mer neuen Fragen. Jene zu Ceren beantwortete ihm Nuramon; je nen zur Magie aber widmete sich Nerimee mit einer Geduld, die der Cerens würdig war.
Gaerigar beteiligte sich nicht an der Herstellung der Rüstungen, bewunderte jedoch allabendlich die Fortschritte und geizte nicht mit Lob. Doch wann immer er davon sprach, Magie auf Waffen zu legen, schickte Nerimee ihn fort.
Tagsüber saß Gaerigar im Sattel und ritt über den Westteil der Insel. Er übte unermüdlich für das große Pferderennen, das er gewinnen wollte, und Nuramon war von der Zielstrebigkeit und den Fähigkeiten seines Sohns beeindruckt. Dass er nicht erwachsen war, half ihm gegenüber den anderen Reitern. Er war leichter als sie und lastete dadurch seinem Pferd nicht so schwer auf dem Rücken. »Endlich einmal eine Gelegenheit, den Erwachsenen auf Augenhöhe zu begegnen«, sagte er und lachte dabei.
Manchmal erschien es Nuramon, als hätte Gaerigar Ceren bereits vergessen. Doch Nerimee erzählte ihm von den langen Gesprächen, die sie bei Nacht im Garten führten. Dabei hatte Gaerigar offenbart, wie tief ihn der Verlust erschütterte, und er hatte in Nerimees Armen geweint. Aber wie so oft bemühte er sich allen anderen gegenüber, seine Trauer zu verbergen.
Eines Morgens kamen Nerimee, Gaerigar und Yendred ins Schlafgemach gestürmt, um Nuramon und Daoramu zu wecken. Wie vor Jahren, als Yendred gerade einmal laufen konnte und Nerimee noch nicht ihre innere Ruhe gefunden hatte. »Kommt mit!«, riefen sie immer wieder. »Wir holen Großvater und Großmutter!«, sagte Nerimee. »Wir treffen uns im Garten!«, fügte Gaerigar hinzu. Yendred rief immer wieder: »Kommt, kommt!« Und schon waren sie wieder verschwunden.
Am Rande des Gartens hinter dem Haus, direkt am sanften Übergang zum Park, sahen sie es im Schein der aufgehenden Sonne: An Cerens Gedenktafel war über Nacht eine Pflanze emporgewachsen, einen Fuß hoch, mit kleinen Blättern. Nuramon ging in die Hocke und legte seine Hand
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