Nuramon
sie.
Die Verletzten ließen nicht lange auf sich warten.
Die Kriegerin Murna bezog mit dreißig Kämpfern an der Oststraße Stellung. Sie wandte sich immer wieder zu den Familien der Bauern um. Sie liefen dem Wald entgegen. Nur noch ein wenig, und Murna könnte ihre Stellung aufgeben. Da kehrten die varmulischen Reiter zurück. Die erste Schar machte einen Bogen um sie; erst die zweite hielt auf sie zu. Ein Stoß von rechts, einer von links, und Murna hatte das Gefühl, nicht die Waffen der Feinde, sondern die Pferde hätten sie niedergestreckt. Sie dachte an ihre beiden Söhne, die bereits im Wald verschwunden waren und betete zu ihrer Ahnin Werimi, sie möge ihre Kinder und all die anderen retten, die auf der Flucht waren. Schließlich wurde es still und dunkel um Murna herum.
Gorulgir zog sich mit seinen Freunden an den einzigen Ort zurück, der ihnen blieb: ins Dornengestrüpp, das im Stadtgraben wucherte. Es waren Tunnelgänge, welche die Kinder angelegt hatten. Die Dornen stachen und ritzten ihre Haut, doch lieber das, als im Schwert oder im Speer eines Varmuliers zu enden. Die Feinde schossen Pfeile in den Graben herab. So harrte Gorulgir mit seinen Gefährten aus und ließ die Geschosse vorbeizischen. Dann war es still – bis die Varmulier Feuer legten.
Varya humpelte durch die Straßen von Teredyr. Ihre letzte Hoffnung war Berilgu, der Medikus. Seine Tür stand offen, und kaum war sie auf der Schwelle, da sah sie sich Kriegern gegenüber, die über Leichen stiegen und sich nun erschrocken zu ihr umwandten. Dann lachten sie. »Du suchst den Heiler? Da ist er«, sagte ein bärtiger Krieger und wies zu Boden. Varya folgte seinem Fingerzeig, und da sah sie Berilgu. Er lag in seinem Blut, seine Kehle wirkte wie ein zerfetztes Tuch. Varya sank am Türrahmen hinab, wandte sich zur Seite und starrte in die Stadt hinaus. Jenseits der Mauern schlugen Flammen in die Höhe.
»Werengol!«, rief Yargir und machte kehrt, obwohl hinter ihnen ein ganzes Heer nahte. Er lief zurück zum Sohn des Stadtältesten und half ihm auf. »Nur ein paar Schritte, und wir sind auf dem Pass.«
»Das ist zu weit«, sagte Werengol keuchend.
Yargir biss die Zähne zusammen. Sein Bein schmerzte, aber er lud sich Werengol auf den Rücken und lief los. Da schossen ihre Verbündeten Pfeile vom Pass auf die nachstrebenden Feinde ab. Yargir hätte jubeln können, doch sein ganzer Körper war angespannt. Jeden Augenblick würde ihn die Kraft verlassen, und die Feinde würden ihn und Werengol einholen. Nur weiter, dachte er. Weiter bis auf den Pass! Aber sein Sichtfeld wurde schmaler, die Schritte unsicher, der Atem schneller. Und als die Dunkelheit über ihm zusammenschlug, war er sich sicher, dass er Nylma niemals wiedersehen würde.
Teredyr
Nuramon kehrte mit seinen Gefährten über die Albenpfade an die kleine Quelle zurück. Begierig zu erfahren, ob sie den Varmuliern zuvorgekommen waren, näherte er sich der Klippe am Waldrand. Dort unten vor der Bergkette lag Teredyr – umgeben von einem Kranz aus Flammen. Die Dornensträucher im Stadtgraben brannten ebenso wie der große Turm und das Dach der Versammlungshalle. Eine Bahn aus Rauch zog gen Süden empor; auf der Festung nahe des Westtores wehte das rote Banner von Varmul.
Vor der Stadt lagerte ein ganzes Heer zwischen der Süd- und der Oststraße, weit abseits des Hügels, auf dem Nuramon den Teredyrern vor Tagen ein Tor geöffnet hatte. Ein Kriegszug strebte auf der Südstraße fort, und in seiner Mitte bewegten sich jämmerliche Gestalten, gewiss hundert Menschen. Es waren die Gefangenen der Varmulier.
Auch ein Blick nach links zum Pass hinüber verringerte die Sorgen nicht. »Hätten unsere Leute den Damm nicht längst brechen müssen?«, fragte Nylma, die dem Ausmaß der Zerstörung ihrer Heimat als Einzige nicht sprachlos gegenüberstand. Der Pass war ein Flussbett, das die Teredyrer trockengelegt hatten. Der Fluss – der Syarnar – hatte früher an Teredyr vorübergeführt, nun aber speiste er sich erst hinter der Stadt aus einem Wasserfall. Das Flussbett diesseits der Stadt würde trocken bleiben, bis jemand oben im Hochtal bei den Minen den Damm öffnete. Denn dort stauten die Teredyrer das Wasser und lenkten es in ein Becken um, das zum Wasserfall führte.
Weil niemand Nylma antwortete, sagte Nuramon: »Vielleicht öffnen sie den Damm erst, wenn die Varmulier den Versuch wagen, zu ihnen hinaufzugelangen.« Dort oben im Hochtal hatten jene Teredyrer, die aus der
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