Nuramon
alle«, sagte Mirugil ruhig. Noch immer lag kein Zorn in seiner Miene, sondern nur Zufriedenheit. Mit einem Mal aber erstarb jeder Ausdruck im Gesicht des Königs. Seine Haut wirkte grau, als passe sie sich binnen eines Augenblicks der Farbe des Schwertes an, das nun unter seinem Kinn lag und sich eng an seinen Hals schmiegte.
Es war Bjoremul, der seinem Herrn mit der Waffe drohte. »Schön ruhig bleiben«, sagte der Wyrenar, und tatsächlich wichen die Varmulier zurück. Nur einer der hochgewachsenen Krieger trat vor, den schweren Kriegshammer zum Angriff bereit.
»Runter damit, Rayagor!«, sprach der König mit zitternder Stimme.
Die varmulischen Krieger ließen ihre Waffen fallen, und Bjoremul zwang den König aufzustehen und bewegte sich rückwärts auf die Teredyrer zu. Er wandte den Blick nicht von den Kriegern des Königs ab. Als er Nuramon erreicht hatte, sagte er: »Es tut mir leid, Alvaru. Das habe ich nicht gewusst.«
»Dann gehen wir jetzt?«, fragte Nuramon.
Bjoremul nickte. Sein Schwert ruhte noch immer an der Kehle seines Herrn.
»Das ist Verrat, Bjoremul«, sagte Mirugil, als sie ins Freie traten. »Das wirst du bereuen! Meine Leute werden nicht ruhen, bis sie dich gefunden und getötet haben!«
Doch der Wyrenar antwortete dem König nicht, sondern trieb ihn vor sich her. Nuramon schaute zurück und sah die varmulischen Reiter, die sich von Barobyr aus näherten, während Mirugils Leibwächter mit gezückten Waffen aus dem Zelt gelaufen kamen und bei ihren Pferden Stellung bezogen, es aber nicht wagten anzugreifen.
»Du hast sie überrascht, Bjoremul«, sagte Nuramon lächelnd. »Und mich ebenfalls.«
»Ich habe mich selbst überrascht«, entgegnete der Wyrenar.
»Wie überrascht du später erst sein wirst!«, sprach der König, in dessen Antlitz Zorn und Verzweiflung um die Oberhand rangen.
Als sie die Pferde erreicht hatten, ließ Bjoremul sein Schwert in die Scheide gleiten, packte den König bei den Schultern und wandte ihn zu sich um. »Dein Neffe ist mein Herr, Mirugil! Was glaubst du, wird geschehen, wenn die Teredyrer unsere Banner vor ihrer Stadt sehen? Was werden sie wohl mit Varramil und mit Dorgal tun? Hast du in deiner Machtgier auch nur einen Gedanken daran verschwendet?«
Die Teredyrer saßen bereits in ihren Sätteln. Nur Nuramon stand noch bei Bjoremul und wartete ebenso wie dieser auf eine Antwort, doch der varmulische König schwieg.
»Geh, Mirugil«, sagte Bjoremul schließlich leise und schob den König in Richtung des Zeltes.
»Warte!«, rief Gaeremul. »Der ist unser Gefangener!« Doch Yangor hob die Hand. »Lass gut sein, Gaeremul.« Dann warf der Stadtälteste Bjoremul einen anerkennenden Blick zu und wandte sich an Mirugil. »Verschwinde!«, sagte er verächtlich.
Der König stolperte einige Schritte rückwärts von den Teredyrern fort. »Ihr werdet es noch bereuen, mich laufen gelassen zu haben«, brüllte er mit hassverzerrter Miene.
»Das solltest du erst dann sagen, wenn unsere Pfeile dich nicht mehr treffen können«, erwiderte Gaeremul und wies auf die Reiter um Relegir, den Hornbläser, die mittlerweile zu den Teredyrern aufgeschlossen hatten. Auch Nylma war bei ihnen und brachte Bjoremul das Pferd, auf dem er als Gefangener gekommen war und auf dem er sie nun als Gefährte zurückbegleiten würde. »Willkommen in unseren Reihen«, sagte die Kriegerin.
Bjoremul lächelte gequält und stieg in den Sattel. Dann gaben sie ihren Pferden die Sporen, und noch ehe der varmulische König mit seinen Kriegern vereint war, erreichten Nuramon, Bjoremul und die Teredyrer das schützende Blätterdach des Waldes.
Orakelblick
Werengol, der Sohn Yangors, stand auf der Südmauer von Teredyr, blickte besorgt über die Felder gen Süden und hielt nach den beiden Spähern Ausschau.
»Sollen wir die Leute lieber wieder ins Hochtal schicken?«, fragte Yargir in die Runde der Krieger.
»Nicht bei jeder Kleinigkeit«, sagte Werengol.
Kurz darauf bewegte sich etwas am Waldrand. Da ritten die beiden Späher, die er ausgesandt hatte. Hinter ihnen stieß eine ganze Schar Reiter zwischen den Bäumen hervor. Aus ihrer Mitte ragte das varmulische Banner heraus.
»König Mirugil hat uns verraten«, erklärte Yargir und schlug mit der Faust auf die Zinne.
Der Morgen hatte für Byrr, den Heiler des Minendorfes im Hochtal, gut begonnen. Die meisten Familien waren nun wieder unten in der Stadt. Doch am Mittag kehrten die Ersten in wilder Hysterie zurück. »Die Varmulier!«, riefen
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