Nuramon
Dank!«, hauchte seine Tochter.
Gaerigar kehrte mit leeren Händen vom Festland zurück. Irgendwo in der Flussmündung war der Unsichtbare ihnen entkommen. Nun suchte die Garde nach einer Spur, während er, Bjoremul und die Schar Krieger auf den Marktplatz zurückkehrten. Seine Familie hatte sich längst zurückgezogen, und die Stadtgarde hatte den Ort des Anschlags abgesperrt. Die drei toten Meuchler hatten sie bereits nebeneinander aufgebahrt; ebenso die vier Leichen der Jasborer: zwei Palastwachen und zwei Stadtgardisten.
Die Wachen hatten die Gesichter der Angreifer von den Schals befreit, und Gaerigar betrachtete die bärtigen Mienen. Einer von ihnen hatte ein zertrümmertes Gesicht, das Gaerigars Blick fesselte. »Woher kommen sie wohl?«, fragte er.
»Helbyrn«, sagte Bjoremul und zeigte auf den Mann mit dem zertrümmerten Schädel. »Der jedenfalls hat mit einem Akzent geflucht, der mich an das Fürstentum erinnert.«
»Schaut«, sagte Helgura, die auf Nerimees Befehl hin nicht von seiner Seite wich. »Die Ringe.« Die Leibwächterin wies auf die Hände der Toten. Jeder von ihnen trug je einen Ring an jeder Hand – einen silbernen und einen goldenen.
»Vielleicht sind das Rangzeichen«, sagte Waragir.
Gaerigar aber bezweifelte es. Er berührte eines der Schmuckstücke nach dem anderen und spürte in jedem Magie. »Das ist es«, sagte er. »Es sind die Ringe.«
Im Schatten der Birkeneiche kämpften Nuramon und Nerimee um Daoramus Leben, aber der Sog, den Nuramon schon oft gespürt hatte, wenn ein Leben an der Schwelle zum Tod stand, blieb aus. Schließlich ließ Nuramon seine Hände von Daoramus Körper gleiten. »Der Zauber geht ins Leere«, sagte er, und Nerimee nickte mit verzweifelter Miene.
Da öffneten sich Daoramus Augen.
Nuramon atmete erleichtert aus. Als er sich aber über sie beugte, erstarrte er. Daoramu blickte durch ihn hindurch, als schliefe sie mit offenen Augen. Ihre Pupillen waren starr, und sie blinzelte viel zu selten.
»Warum regt sie sich nicht?«, fragte Nerimee.
Nuramon schüttelte den Kopf. Dann sagte er: »Daoramu!« Sie antwortete aber nicht, sondern atmete nur still durch die Nase ein und aus.
Borugar und Jaswyra stießen zu ihnen. Sie hatten Yendred beruhigen und dann den Mägden übergeben wollen, und nun kamen sie mit dem Hofmedikus Rargu, dessen Gehilfen und mit Oburgal, dem Ahnenpriester des großen Tempels von Jasbor.
»Den Ahnen sei Dank!«, rief Jaswyra, als sie Daoramus Brustkorb sah, der sich gleichmäßig hob und senkte, doch Borugar bemerkte, dass etwas nicht stimmte.
»Sie ist offenen Auges bewusstlos«, sagte Nuramon leise.
Borugar nickte, doch sein Blick zeigte, dass er nicht verstand. »Untersucht sie«, befahl er den Heilern, und während nun auch diese Daoramu in die Augen schauten und sie ansprachen, schaute Nuramon in Cerens Baumkrone hinauf. Er dachte an den Traum, der ihn ins Bewusstsein zurückgeholt hatte. Es mochte nichts weiter als eine Sehnsucht gewesen sein, eine Reaktion auf den Duft des Baumes. Und doch klammerte sich Nuramon an die Hoffnung, dass Ceren eingreifen und Daoramu mit ihrer Macht retten würde.
»Ich habe so etwas schon einige Male gesehen«, sagte Rargu der Hofmedikus. »Sie ist nur noch Körper. Alles, was ihr Wesen ausmachte, ist fort.«
Jaswyra schrie auf, wandte sich ab und drückte sich an Borugars Schulter. »Das kann nicht sein«, sagte der Fürst mit schwankender Stimme. »Du sprichst von Kopfwunden im Krieg. Aber schau sie dir an. Sie ist unverletzt!«
Rargu blickte kurz zu Nerimee und erhob sich. »Du sagtest, es sei eine magische Attacke gewesen, Herr. Vielleicht ist die Wunde unsichtbar.« Er schaute Nuramon erwartungsvoll an.
Während die Heiler sich von Daoramu lösten, kniete sich Nerimee wieder zu ihr hinab und fasste ihre Hände.
Nuramon zögerte. Daoramus Anblick machte ihn ratlos. Es war, als lähmte ihn das Gift, das ihn eben beinahe getötet hatte, noch immer, und als hemmte es seinen Entschluss. »Da ist keine magische Wunde mehr«, antwortete er dem Hofmedikus schließlich.
»Was sollen wir tun?«, fragte Borugar. Nuramon hatte ihn, der im Gefecht in jeder Lage einen Ausweg fand, noch nie hilflos gesehen. Und er selbst wusste keine Antwort auf die Frage seines Schwiegervaters. Er fühlte sich immer noch gehemmt.
»In solchen Fällen ist es möglich, Flüssigkeiten zu verabreichen«, sagte Rargu. »Sie kann noch schlucken. Ich habe Familien gesehen, die einen solchen Körper weiterpflegten. Die
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