Nuramon
und sagte: »Deine Mutter weiß schon seit zwei Jahren, dass du dich zu ihm hinüberschleichst. Und tu nicht so, als würdest du dich nicht nach ihm sehnen.«
Nerimee sah ihn verständnislos an. »Aber Mutter hat es mir verboten.«
»Ja«, sagte Nuramon. »Aber es gibt viele Dinge, die sie dir verboten hat und die du heimlich doch getan hast.« Mit einem Lächeln bemerkte er, dass Nerimee errötete. »Deiner Mutter hat es früher viel Freude bereitet, Verbote zu übertreten. Dieses Gefühl wollte sie auch dir schenken. Letzten Endes aber hast du es deiner Großmutter zu verdanken. Denn wann immer deine Mutter sich über dich und deine Brüder ärgerte, sagte Jaswyra: Du warst auch nicht besser, ich ebenso wenig . Und Ceren sagte: Ihr vergesst, dass auch ihr früher die Weisheit der Älteren missachtet habt. Du würdest nicht glauben, wovon wir alles wissen.«
Da grinste Nerimee, schloss ihn in die Arme und verabschiedete sich. Er blickte ihr nach, wie sie den Gang entlanglief, dann kehrte er an Daoramus Seite zurück. »Ich muss dich verlassen«, flüsterte er ihr ins Ohr, und als er ihr von Helerurs Tat erzählte, hoffte er im Stillen auf eine kleine Regung, denn die Verachtung Helerurs hatte sie immer bewegt. Doch Daoramu rührte sich nicht.
Es war später Nachmittag, und Nerimee saß an Cerens Stamm gelehnt. Auf ihrem Schoß ruhte der Kopf ihrer Mutter. Ihr Großvater und ihr Vater waren mit den Kriegern ausgezogen. Sie mochten nun in Merelbyr sein, um sich Verstärkung für den Angriff auf Helerur zu holen. Vielleicht waren sie sogar schon in Byrmul und gingen gegen den Herzog vor.
Nerimee strich ihrer Mutter durchs Haar. »Vater hat mir erzählt, dass du von meinen heimlichen Besuchen bei Waragir weißt. Du hättest es mir ruhig sagen können. Wir tragen so viele kleine und große Geheimnisse in uns. Ich werde vor dir keine mehr haben.« Sie schwieg lange, ehe sie die Kraft fand, die Wahrheit zu gestehen. »Wir tun uns schwer, gegen die Zauberei vorzugehen, die nach dir gegriffen hat, Mutter«, sagte sie schließlich. Dann atmete sie tief durch. Das Schweigen ihrer Mutter setzte ihr nach wie vor zu. Da war es eine Erleichterung, als Nerimee aufsah und Yargir erblickte.
Der Schwertfürst ging noch immer am Stock, wenngleich er die sen keineswegs so sehr beanspruchte wie noch am Morgen. Er grüßte sie und lächelte auch Daoramu zu, als könnte sie es mit geschlossenen Augen sehen. Dann ließ er sich langsam auf die schmale Bank an der Gedenktafel sinken.
»Hat der Zauber geholfen?«, fragte Nerimee.
»Ja«, sagte er und lächelte.
»Dass dein Körper sich gegen das magische Gift wehrt, gibt mir Hoffnung«, sagte sie. »Dich traf ein Teil desselben Zaubers, der auch meine Eltern niederstreckte. Vaters Selbstheilung hat ihn gerettet und auch bei dir habe ich einfach nur deine Heilkräfte gestärkt, und schon schwand die Lähmung. Aber bei Mutter ist irgendetwas anders«, sagte sie.
»Du vermisst deinen Vater, habe ich recht?«, fragte er.
Sie nickte. »Ja. Und Waragir. Ich hätte auch ihn jetzt gern hier.«
Yargir grinste. »So wie letzte Nacht«, sagte er.
Nerimee schmunzelte und spürte, dass ihre Wangen warm wurden. Nylma hatte es ihm also erzählt. Sie hatte sie und Waragir beim Liebesspiel erwischt. Nerimee wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken, doch Waragir hatte es mit Humor genommen.
»Verzeih mir«, sagte Yargir und blickte mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen auf Daoramu hinab. »In diesem schlafenden Gesicht sehe ich immer noch die Gefühle der letzten Jahre«, sagte er. »Ich liebe sie wie meine Schwester.« Er schüttelte den Kopf und schaute ins Leere. »Erst Ceren und nun sie.«
Nerimee schaute den Baumstamm der Birkeneiche hinauf, wie sie es oft tat, wenn sie nicht mehr weiterwusste. »Vielleicht gelingt es uns, beide aus ihrem Schlaf zu wecken«, sagte sie, und der Gedanke allein gab ihr neue Zuversicht.
Yargir nickte und lächelte, dann küsste er Daoramus Hände.
In Byrmul bei Nacht
Nuramon stürmte an der Spitze der Krieger den längsten der fünf Hügel der Stadt Byrmul hinauf und stieg die Treppe zur Herzogsburg empor. Die Wachen liefen vor ihnen davon, vermochten aber nicht das Burgtor zu schließen. Es klemmte am Boden fest, so lange war es offenbar nicht mehr bewegt worden. Nuramon drang mit den Kriegern auf den Innenhof der Burg vor. Hier erwarteten sie rund drei Dutzend Kämpfer, doch er und sein Zug mit Borugar in zweiter Reihe, Nylma und Waragir an den
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