Nuramon
»Verstehe.«
»Mirugil schätzt meine Schriften«, erklärte Helerur. »Er kann einen Mann wie mich gebrauchen. Ich war es, der ihn über Mittelsmänner im Kampf gegen das Fürstentum Yarsal beriet. Und das war ein Triumph. Er weiß, was er an mir hat. Du aber hast es vergessen.«
Borugar schaute einen Moment nachdenklich zu Boden. »Ich weiß nicht, ob deine Familie lebt. Ich habe sie nicht gesehen. Es mag also sein, dass sie fliehen konnten.«
Helerur schüttelte den Kopf. »Ich sollte dich besser kennen.« Er nickte. »Machen wir es kurz. Gib deiner Leibwächterin die Genugtuung, die sie verdient.«
»Was glaubst du, Nuramon? Sollen wir ihn töten?«, fragte Borugar.
Nuramon musterte den Herzog und erinnerte sich an den Tag, als er mit Daoramu und seinen Vertrauten nach Jasbor gekommen war. »Als wir ihm damals eine zweite Chance schenkten, sagte ich zu Nylma und Yargir, dass ich ihn töten würde, wenn er die Hand gegen uns erhebt.« Er wies auf Waragir. »Wenn ich an die Jahre mit diesem wunderbaren Jungen denke und den Herrn seines Mörders vor Augen habe, dann möchte ich meinen Worten unbedingt Taten folgen lassen.« Er schaute durch das Tor auf den Gang hinaus. Die Leichen der Besiegten lagen dort. »Aber der Tod wäre ein zu leichter Ausweg. Er hat in diesem Leben Verrat verübt, also soll er auch in diesem Leben gerichtet und bestraft werden.«
Helerur starrte ihn verunsichert an; seine Mundwinkel zuckten.
»Du wirst in meinem Kerker leben«, erklärte Borugar seinem alten Freund mit kalter Miene. »Die Jahre werden verstreichen. Sterbe ich, stirbst auch du. Stirbt Nuramon, ist es auch dein Tod. Und an dem Tag, an dem Daoramu stirbt, wirst du Qualen leiden, die du dir nicht vorstellen kannst. Jeden Tag, bis du wahnsinnig wirst. Bete also zu deinen Ahnen, dass Daoramu erwacht und sie gnädig genug ist, dir zu verzeihen.«
Rache und Angst
Nerimee hielt Wache in der Gruft, in der Waragir inzwischen aufgebahrt war. Es war eine der Totenkammern der Yannaru, der Ort, an dem auch sie einst begraben sein würde. Ihr Geliebter trug die Rüstung eines Ilvaru und einen teredyrischen Fellumhang. Seine Stirn glänzte vom Öl der Priester, und seine Haut war beinahe so blass wie die ihres Vaters. Er roch, als wäre er gerade dem Bade entstiegen. Die Priester hatten den Duft des Todes übertüncht, doch trotz allem fehlte ihm der Hauch des Lebens.
Sie hatte ihr Zeitgefühl längst verloren, als sie Hände auf ihren Schultern spürte. Die Berührung löste sie aus ihrer Starre, und sie erhob sich.
»Nerimee«, sagte ihr Vater. »Wir wollen dich bei uns haben, wenn wir über ihn reden.« Er wirkte noch blasser als sonst.
Sie nickte, schaute noch einmal auf den Leichnam ihres Geliebten hinab und folgte ihrem Vater hinaus auf den Gang der Ahnenhallen, die sich in den tiefsten Gewölben des Palastes erstreckten. »Was soll ich schon beitragen?«, sagte sie. »Ihr werdet mich nur wieder weinen sehen.«
»Du musst dich bei deinem Großvater entschuldigen.«
»Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Helerur tot sehen will«, sagte sie leise.
»Nur wer lebt, kann büßen.«
»Aber mir ist es gleichgültig, ob er büßt oder nicht.«
»Dann vergiss ihn. Lass ihn für dich gestorben sein. Versöhn dich mit Borugar, denn es wird Krieg geben. Wir werden gegen Varmul vorgehen.«
»Das wird Jasgur gefallen«, sagte Nerimee, doch ihr Wunsch nach Rache wich wieder einmal der Angst. Was, wenn der Krieg ihr noch einen Vertrauten nahm? Sie wollte nicht, dass ihr Großvater im Streit von ihr fortging. »Ich entschuldige mich«, sagte sie schließlich.
Ihr Vater lächelte und schloss sie in die Arme.
Nerimee ließ Nuramon vorgehen und verbrachte noch eine Weile in den schönen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Waragir. Dann machte sie sich auf den Weg nach oben und betrat schließlich die Fürstenhalle, die nach wie vor voller Gäste war. Die Tische zogen sich in zwei Reihen bis zur Fürstentafel vor dem Thron hin; ganz so wie in der Grafenhalle von Merelbyr, wo Nerimee gelegentlich mit der Familie den Sommer verbracht hatte. Borugar stand zwischen den Gästen und sprach mit Terbarn, dem Palastvogt. Kaum hatte er sie aber bemerkt, kam er ihr entgegen.
»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich kann Helerur woanders unterbringen, wenn es dir lieber ist.«
Nerimee nickte. »Auch mir tut es leid. Ich will ihn nur nicht auf diesem Anwesen haben, und schon gar nicht unter der Garnison, in der Waragir
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