Nuramon
herein und zog sich in einer Bahn den Boden entlang und reichte die Wand hinauf. Er fühlte den Puls seiner Mutter, lauschte ihrem Atem und doch war ihm, als wäre da nichts weiter als der Körper. Die Ahnenpriester hatten recht. Im schlimmsten Fall hinderte diese Hülle ihre Seele daran, Erlösung zu finden.
Gaerigar starrte seiner Mutter ins Gesicht und überlegte, ob er sie von ihrem Leid befreien sollte. Hier und jetzt. Doch er wusste, dass seine Schwester, sein Vater und vielleicht auch all die anderen seine Tat als Mord betrachten würden.
Als Nerimee sich zu ihm gesellte, ihn überrascht anblickte und ihm Fragen stellte, machte er sich davon, ging in seine Kammer und verfluchte leise seinen Vater und seine Schwester. Als Gaerigar aber am Abend hinter dem Haus auf der Steinbank saß und seinen Vater drüben bei Ceren erblickte, wie er dort auf die Knie sank und weinte, hatte er nichts als Bedauern für ihn und für Nerimee übrig.
In dieser Nacht beschloss er, mit seinem Vater in den Krieg zu ziehen und sich am König von Varmul zu rächen. Diesmal würde er nicht den Palast hüten, während sein Vater und sein Großvater in den Kampf zogen. Und sollte Mirugil vor sein Schwert kommen, würde er nicht so gnädig sein wie sein Vater und sein Großvater es bei Helerur gewesen waren. Er würde Mirugil töten. Einfach töten, ohne irgendwelche Erwägungen, ob der Übeltäter in diesem oder im nächsten Leben bestraft würde. Er würde ihn einfach aus dem Leben schneiden und seinesgleichen vor die Frage stellen, ob sie ein ähnliches Schicksal erleiden wollten.
Mit diesem Entschluss stellte er sich am nächsten Tag dem Gespräch mit seinem Vater. Sie standen auf einer der Weiden im Westteil der Insel und schauten Yendred und Lyasani dabei zu, wie sie einen Drachen steigen ließen. Jaswyra und Dyra saßen abseits auf einer Bank.
»Ich möchte, dass du hierbleibst«, sagte sein Vater. »Ich will nicht, dass dir das Gleiche geschieht wie Waragir. Die Wunde ist noch zu frisch. Und der Hass in uns allen ist zu groß.«
Gaerigar hatte nichts anderes erwartet. »Wie lange soll ich warten, Vater? Ich bin jetzt siebzehn, und die Krieger unter meinen Freunden werden in die Schlacht ziehen. Wirst du in einem Jahr keine Angst mehr um mich haben? In zwei Jahren? Oder drei? Soll ich, bis ich auf den Thron komme, nie in einer Schlacht gekämpft haben?«
»Wie sehr ich mir wünschte, du müsstest überhaupt nicht mehr kämpfen!«, sagte Nuramon.
Gaerigar entfuhr ein bitteres Lachen. »Das hättest du dir überlegen sollen, ehe du mit Nylma Rachereden gehalten hast. Ihr habt unserem Schmerz eine Richtung gegeben; um ihn zu lindern, ziehen wir in die Schlacht. Und ich allein soll zurückbleiben und vergessen, was mit Waragir geschehen ist, dass Nerimee leidet und Mutter verloren ist?«
»Sie ist nicht verloren«, sagte Nuramon, doch als Gaerigar das Erstaunen in seinen Augen sah, setzte er nach: »Ich sehe nur eine Hülle, in die sich einst ihr Geist gekleidet hat.«
Nuramon musterte ihn. »Meidest du sie deshalb?«
Gaerigar nickte. »Mein Herz ist nicht aus Stein, Vater. Ich leide ebenso wie ihr, aber ich glaube den Ahnenpriestern. Mutters Seele ist in ihrem Körper gefangen, und sie braucht Erlösung.«
Sein Vater holte Luft, um etwas zu sagen, doch er ließ ihn nicht zu Wort kommen. Er hatte so lange den Mut gesammelt, diese Worte auszusprechen. Nun würde er sich durch nichts mehr davon abhalten lassen. »Du und Nerimee«, sagte er mit gesenktem Blick. »Ihr wollt nicht einsehen, dass nichts mehr zu machen ist.«
Vorsichtig hob er den Blick und suchte nach Zorn im Gesicht seines Vaters, fand aber nur Erstaunen. »Woher willst du das wissen?«, fragte er. Er wies zu Yendred, der den Kopf einzog und dem herabfallenden Drachen nur knapp entging. »Deine Schwester und auch dein Bruder verstehen mehr von der Zauberei als du, und sie sehen noch Hoffnung. An ihnen solltest du dir ein Beispiel nehmen.«
»Manchmal sieht der Blick eines Unwissenden klarer als der des Meisters.«
»Du irrst dich, Gaerigar.«
»Dann zeig mir irgendetwas, das mir Hoffnung macht«, sagte er.
»Wenn wir den Magier aufgespürt haben, werden wir Antworten haben.«
»Dann lass mich etwas beitragen!«, rief er. »Ich bin kein guter Zauberer, aber ich bin ein fähiger Krieger! Ich kann all das, was mich hier plagt, gegen unsere Feinde wenden.«
»Es ist die Entscheidung deines Großvaters«, sagte Nuramon.
»Und er sagte, es sei deine
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