Nuramon
und diese – allesamt unbewaffnet – nahmen die Fürstenfamilie in ihre Mitte. Die Königin bat Dorgal, den Zug anzuführen. Der Wyrenar trat noch an Bjoremul heran und drückte dessen Hand. Es war eine Geste, die Nuramon naheging, und auch Bjoremul schien gegen die Tränen anzukämpfen. Dann wandte Dorgal sich noch einmal Nuramon zu. »Der Magier«, sagte er, »liegt tatsächlich im Sterben. Du findest ihn im Nordturm. Und nun: Hab Dank, Alvaru, und lebe wohl. Hoffen wir, dass unsere Wege sich nicht mehr kreuzen.«
»Zumindest nicht mehr als Feinde«, erwiderte Nuramon.
Während Borugar einige seiner Krieger zum Nordturm aussandte, schaute Nuramon dem Zug der Varmulier nach, wie sie, von Jasgurs Leuten begleitet, den Saal verließen. Und er wusste nicht, ob er durch seinen Entschluss zukünftiges Leid vermieden oder aber heraufbeschworen hatte. Er wusste nur, dass es in diesem Moment richtig gewesen war, sich für das Mitleid und nicht für den Zorn entschieden zu haben.
Nuramon wollte sich abwenden, um den Kriegern zum Nordturm zu folgen, da spürte er eine magische Präsenz in nächster Nähe. Er fuhr herum und glaubte, einer der unsichtbaren Krieger wäre im Saal. Doch die magische Spur führte zu Nylma. Ihre Augen bewegten sich unter ihren Lidern.
Nuramon beugte sich zu ihr hinab und drehte sie ganz auf den Rücken. Da blieb sein Blick an der geflochtenen Lederkette haften, die er so lange getragen hatte und ohne die er Nylma in all den Jahren nicht gesehen hatte. Dort unter der Rüstung ruhte der Almandin auf Nylmas Brust.
Nuramon legte seine Hand auf ihre Schuppenrüstung und spürte den Zauber strahlen. Das Kleinod, das Noroelle ihm einst hinterlassen hatte, gab heilende Kraft an Nylma ab. Nuramons Hand fand den Puls an Nylmas Hals und den Atem an ihrem Mund. Er schaute an ihrem Köper hinab. Eine Bauchwunde, aus der viel Blut gedrungen war, und eine durchstoßene Wange waren die offensichtlichen Verletzungen. Er legte beide Hände auf die Bauchwunde und wirkte einen Heilzauber. Und wieder drang die Magie einfach durch Nylma hindurch. Doch dann knüpfte er seine Heilkraft an die des Almandins und entdeckte, dass dessen Zauber bereits tief in den Körper der Kriegerin vorgedrungen war. Nuramons Magie verbrüderte sich mit der des Almandins, und als die Macht des Edelsteins erschöpft war, gelang es Nuramon, das Band zu Nylma zu halten. Entweder hatte ihm der Almandin einen Weg gewiesen, oder Nylma war inzwischen so weit genesen, dass sie wieder empfänglich für seine Heilmagie war.
Während die Gefährten – allen voran Jasgur, Bjoremul und Borugar – ihn und Nylma umringten, regneten Nuramons Tränen auf seine Freundin hinab und liefen über ihr Gesicht. Da blinzelte sie und öffnete ganz langsam ihre Augen. Sie lächelte so sanft wie ein Neugeborenes.
Nuramon küsste sie auf die Stirn. Er hätte sie gerne neben dem Tod auch vor dem Schmerz bewahrt, der sie nun erwartete.
Orakelblick
Nylma war zu erschöpft, um zu trauern. Sie sah Yargirs toten Körper, und sie küsste ihn, nahm ihn in ihre geschwächten Arme und bettete ihn wieder auf den Boden. Dann schaute sie zu Gaerigar. Er war ihr wie ein zweiter Sohn gewesen. Sie wusste, wie Nuramon sich in diesem Augenblick fühlte, schaute ihn an und schloss ihn in die Arme. Er weinte, und sie wusste, dass er sich der Tränen nicht schämte. »Es tut mir leid«, sagte sie wieder und wieder. Nuramons Schluchzen ließ sie verzweifeln.
Als Borugar die Kunde erhielt, dass die varmulische Armee auf der Flucht war, setzte er sich mitten im Saal auf den Boden und schaute auf der steinernen Landkarte umher. Dort hinten lag Yannadyr. Die Blutlachen waren wie gewaltige Seen im Osten des Fürstentums, während die Krieger die Toten im Westen der Landkarte Arlamyrs nebeneinanderlegten. Sein Blick wanderte von seinem toten Enkel zu Nuramon und Nylma, die einander trösteten, und fand schließlich hinauf zu Mirugils Thron.
Jasgur kam zu ihm und setzte sich neben ihn.
»Willst du mich überreden, den Königsthron zu nehmen?«, fragte Borugar.
Jasgur nickte. »Ja, aber nicht den von Varmul. Lass dich zum König von Yannadyr krönen. Du magst auf den Thron von Varmul verzichten und magst ebenso den Rebellen von West-Varmul die Unabhängigkeit schenken. Aber du brauchst etwas, das all unseren Kriegern und deren Familien sagt, dass dieser Krieg sich gelohnt hat. Eine Königs krone würde unseren Leuten stolz verleihen. Selbst wenn wir kein Land dazugewinnen. Tu
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