Nuramon

Geschehnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln erklären. Und sie begrüßte Nylma liebevoll und fand so sanfte Worte für Yargir, dass der Kriegerin vor Rührung die Lippen bebten. Dann zog Ceren sich zwei Tage lang zurück, um erst am dritten Morgen wieder zu erscheinen.
    Während Yendred, Lyasani und Salyra mit Daoramu und den Mägden im Bad waren und das Fürstenpaar unten in der Stadt dem Rat von Jasbor offenbarte, was geschehen war, setzte sie sich zwischen Nuramon, Nerimee und Nylma in den Schatten der Birkeneiche, war scheinbar in teredyrische Wollkleidung gehüllt und ließ sich gegen ihren Baumstamm sinken.
    Sie sprach von ihrer Hoffnung, Daoramu zu retten, und nach langem Schweigen sagte sie: »Wir müssen die entleerten Steine erneut in Quellen legen, damit sie sich rasch wieder mit Macht füllen. Und wir müssen etwas finden, das eine gewaltige Fülle an Magie halten kann und diese Macht auf feinste Weise zu führen vermag.« Sie wies zu ihren Füßen, wo der Almandin lag, den sie ihr gebracht hatten. »Er würde jedem Menschen die Macht verleihen, Magie zu wirken. Aber es braucht Jahre. Und es bräuchte ungeheure Mengen an Magie, um es zu verkürzen. Und selbst dann würde der Heilzauber, der in dir wirkt«, sie schaute zu Nylma, »sie nicht retten.« Mit einer einladenden Geste wies sie auf den Almandin, und Nylma nahm den Stein auf und band ihn sich mit der Lederkette um den Hals.
    »Er ist wie ein Teil von dir«, sagte Ceren. »Vielleicht kann er den großen Zauber, den wir weben müssen, erleichtern. Bis dahin sollte er auf deiner Brust ruhen.« Mit ernster Miene sah sie zwischen Nura mon und Nerimee hin und her. »Gewaltige Macht durch einen winzigen Zauber zu führen ist nicht leicht.«
    »Wir dachten, du könntest es«, sagte Nerimee.
    Ceren legte die Hand vor den Stamm ihres Baumes. »Ich kann mit diesem Körper gewaltige Mächte beherrschen.« Sie fuhr mit den Fingern in die Furchen und schaute in die Krone auf. »Blitze könnten zwischen den Ästen zucken, wie früher in Albenmark. Aber das wäre ein großer Zauber, gebunden an große Macht. Und wenn ich euch hier einen magischen Hauch zuspiele, ist es die sanfte Magie für einen kleinen Zauber. Es ist bei mir immer entweder das eine oder das andere. Könnt ihr mit aller Kraft in euren Armen jemandem sanft über die Wange streicheln? Oder wird das Streicheln nicht doch zum Schlag ins Gesicht?«
    Nerimee ließ die Schultern sinken. »Dann ist es also unmöglich«, flüsterte sie.
    »Es muss möglich sein«, entgegnete Nuramon. »Es kann doch nicht sein, dass die Tjuredanbeter mit ihrer groben Magie etwas geschaffen haben, das jeder Macht widersteht.«
    »Oft hat das Gröbste genau diese Wirkung«, sagte Nylma und biss sich auf die Lippen.
    Ceren schmunzelte. »Es gibt Mächte, die es vermögen«, sagte sie.
    »Meinst du etwa einen Albenstein?«, fragte Nuramon. Die Steine, mit denen man Albenpfade schaffen und zerstören oder mit viel Geschick auch andere Formen der Magie wirken konnte, waren schon immer unfassbar selten gewesen. »Wenn es das ist, muss ich Nerimee recht geben. Dann ist es wirklich unmöglich, denn die letzten sind in Albenmark. Sie waren es, die Emerelle und den anderen Mächtigen die Kraft gaben, Albenmark von dieser Welt und der Zerbrochenen Welt abzulösen. Farodin und ich brachten Emerelle den letzten Albenstein – und sie musste Jahrhunderte darauf warten. Falls da draußen noch einer sein sollte, müssten wir an Orten suchen, an denen Emerelle nicht suchen konnte.« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich meine keinen Albenstein«, sagte Ceren, »sondern eine feingliedrige Magie, mit der du die geringsten Erschütterungen im Gewebe der Welt bemerkst; eine Macht, die gewaltige Ströme der Magie bändigt und in feine Bahnen fügt, um den Lauf der Dinge in Vergangenheit und Zukunft zu erkennen.«
    »Du meinst die Orakel«, sagte Nuramon.
    »In meinen frühen Tagen ruhten einige von ihnen in meinem Schatten.«
    »Aber die Orakel sind in Albenmark«, sagte Nuramon. »Selbst Dareen, die mich und Alwerich empfing und mir in ihrer Sternengrotte den Weg zu Noroelle wies, wird mit den anderen Albenkindern fortgegangen sein. Was sollte sie auch an einem Ort, dessen Tor sich nur öffnet, wenn Elfen und Zwerge Hand in Hand arbeiten?«
    »Aber die meisten Orakel waren keine Albenkinder, sondern Kinder der Welten«, sagte Ceren. »Sie wurden wie die Geister aus dem Leben der Welt selbst geboren. Wie ich und die anderen beseelten Bäume. Wie