Nuramon
die Fingernägel und flüsterte Daoramu einen Morgengruß ins Ohr. »Ganz gleich, was nun geschieht«, sagte er dann. »Wir werden dich aus dem Schlaf befreien. Sollte ich nicht wiederkehren, so verzweifle nicht, sondern erinnere dich an all das, was uns verband.« Er musste lächeln. »Vielleicht haben wir bald schon Enkelkinder. Großvater Nuramon und Großmutter Daoramu. Das klingt in deinen Ohren gewiss anders als in meinen.«
Er erzählte ihr, dass er Yendred, Salyra und Lyasani beim Liebesspiel überrascht hatte. »Ich sollte mir angewöhnen zu klopfen«, sagte er. »Ich dachte, da würde sich nichts tun, weil auch Lyasani im Zimmer war. Aber ich habe mich geirrt. Wenn deine Mutter davon hört, werde ich mir wieder einen Vortrag anhören müssen. Mir fehlen dein Blick, deine Entschlossenheit und deine Einschätzung. Vielleicht hätte ich Yendred nicht von den frühen Tagen meiner Sippe erzählen sollen.« Belrion, einer seiner Cousins, hatte zwei Frauen geliebt. Und die Liebe war so vollkommen gewesen, dass alle drei zur gleichen Zeit ins Mondlicht entschwunden waren.
Nuramon küsste Daoramu, betrachtete sie noch einen Moment, stand dann auf, zog sich an und öffnete Gaeria und den anderen Mägden die Tür. Wie jeden Morgen warteten sie darauf einzutreten und die Laken zu wechseln, Daoramu zu waschen und sie schließlich anzukleiden; und Nuramon ging ihnen zur Hand. Er wählte für Daoramu ein grünes Kleid aus, das mit Schlangenmustern bestickt war. »Das Kleid hast du damals in Merelbyr getragen«, sagte er, »als ich mit Jasgur auszog, um Teredyr zu befreien.« Die Mägde hielten inne und tauschten sanftmütige Blicke.
Nuramon küsste Daoramus Hände. »Bis bald«, flüsterte er und löste sich von ihr.
»Wir werden sie behüten wie einen Schatz«, sagte Gaeria.
Nuramon schloss die alte Magd in die Arme. »Ohne dich, ohne euch alle, würde ich verzweifeln.« Gaeria wollte abwinken, doch Nuramon schüttelte den Kopf: »Es mag eure Pflicht sein, sie zu pflegen – aber mein Dank gilt der Liebe, mit der ihr es tut.« Er küsste sie auf die Wange, und sofort schoss Gaeria die Röte ins Gesicht.
Nuramon verabschiedete sich von jeder einzelnen der Mägde, dann begab er sich nach unten in die Wasserhallen unter dem Palast und badete dort. Nachdem er im Speisesaal mit Helgura gefrüh stückt hatte, zog er seine Rüstung, den Schwertgürtel und seinen roten Mantel an, und mit einem Beutel und einem Schild auf dem Rücken trat er in den Garten hinter dem Palast hinaus und traf seine Gefährten unter dem Blättergewölbe der Birkeneiche.
Ceren saß in ihrer Geistergestalt auf einem Ast und blickte auf sie herab. Borugar, Jaswyra und Nerimee waren ebenso zum Abschied gekommen wie Nuramons Schwertfürstinnen Loramu und Byrnea. Yendred, Lyasani und Salyra standen hinter Nylma und grinsten vor Freude, dass sie auf dieser Reise dabei sein durften.
Das Fürstenpaar machte nicht viele Worte. Sie hatten sich so oft verabschiedet, dass ein fester Händedruck Borugars und eine Umarmung Jaswyras ausreichten.
Ceren lächelte Nuramon nur zu, und er lächelte zurück.
»Ich werde auf die Jungs und Mädchen aufpassen«, sagte Loramu. Sie würde seine Stellvertreterin sein.
»Das hast du doch schon immer getan«, sagte er lachend und wandte sich an Byrnea. Sie war schon seit zwei Jahren die Schwertfürstin neben Loramu. Inzwischen bezeichnete sie es als das Glück ihres Lebens, dass Jasgur ihr nach der Schlacht von Varlbyra einen Posten als Schwertfürstin vorenthalten hatte. So war sie für die Ilvaru ein großer Gewinn geworden. »Sei stark – wie immer«, sprach Nuramon ihr zu.
Byrnea nickte schüchtern, was nicht zu der entschlossenen Kriegerin passen wollte, als die Nuramon sie kannte.
Schließlich schloss Nuramon seine Tochter in die Arme. »Ich vertraue deinen Fähigkeiten mehr als meinen eigenen«, sagte er leise. Und als sie ihn mit ihren braunen Augen ansah und eine Sorgenfalte auf ihrer Stirn entstand, berührte Nuramon sie mit den Fingerspitzen und wischte sie fort, wie er es schon getan hatte, als sie noch klein gewesen war. »Keine Angst. Ich bin immer zurückgekehrt.«
Sie nickte. »Und du gehst jetzt nicht in den Krieg.«
Nuramon lächelte nur und schloss seine Tochter ein letztes Mal in die Arme.
Als er kurz darauf an Nylmas Seite mit Yendred, Lyasani und Salyra durch die Straßen der Stadt schritt und zum Palast aufschaute, sah er nicht nur Cerens Frauengestalt aus dem Blätterdach der Birkeneiche
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