Nuramon
Stadtpforte und drangen mit Daoramu in die Freiheit hinaus. Hier ließen sich Bjoremul und die anderen Krieger zurückfallen. Nur Nuramon blieb an der Spitze und lief zielstrebig über die Felder voran, als läge dort jenseits der Bauernhöfe irgendwo zwischen den sanften Hügeln eine Zuflucht im Mondschein.
Daoramu wusste, dass die Reiterei sie auf dem offenen Land rasch einholen würde. Dennoch schaute sie nicht zurück. Selbst als Bjoremuls grollende Stimme die Reiter ankündigte und das Hufgedonner ihnen nachschallte, hielt sie den Blick vorausgerichtet. Wenn Nuramon die Reiter nicht fürchtete, würde sie sie ebenfalls nicht fürchten.
Nuramon lief einen kahlen Hügel hinauf und blieb oben unvermittelt stehen. Daoramu hielt neben ihm an, und mit diesem Innehalten erstarb auch der kraftvolle Strom, von dem sie sich seit Beginn ihrer Flucht hatte tragen lassen. Sie zitterte am ganzen Körper, ihr war kalt, und sie rang nach Luft. Das Kurzschwert war wie eine Last, die ihr fremd war, aber sie umklammerte es dennoch mit aller Kraft und schwor sich, es nicht mehr abzugeben, bis sie in Sicherheit war.
»Stellt euch hinter mir auf«, rief Nuramon.
Die Teredyrer umströmten den Elf, bis der Blick auf Werisar frei war. Die Stadt lag unter einem nahezu vollen Mond. Davor schoben sich die Reiter als eine breite Schattenfläche näher. Nuramon stand ganz still da und flüsterte etwas in einer fremden Sprache, etwas, das in Daoramus Ohren so süß klang wie ein Liebesgedicht.
Die Reiter kamen langsam heran. Doch je näher sie kamen, umso langsamer bewegten sie sich. Schließlich strebten sie auseinander und zogen einen weiten Kreis um den Hügel, so viele waren es.
»Ruhig!«, sprach Gaeremul seinen Leuten zu. »Ruhig!«
Auch die Kriegerin, die das Schloss des großen Kerkers geöffnet hatte und deren Name Daoramu immer noch nicht kannte, beruhigte ihre Gefährten. »Vertraut ihm«, sagte sie. »Er hat uns schon einmal aus der Mitte eines Kampfes sicher heimgeführt.«
Daoramu beobachtete staunend, wie sich eine Säule aus Licht vor Nuramon aus dem Boden schob. Sie vertraute ihm, und sie würde ihm folgen – ganz gleich, welchen Weg er für sie und ihre Gefährten im Sinn hatte.
Schlagartig wurde es auf dem Hügel still. Nur unten an seinem Fuße wieherten die Pferde. Der Krieger namens Gaeremul war der Erste, der im Licht verschwand, und die Teredyrer folgten ihm. In ihren Mienen fand Daoramu Neugier, Unsicherheit und – vor allem bei den Kindern – Angst. Dennoch gingen sie, einer nach dem anderen, in das grelle Licht und verschwanden darin, während sich rings um den Hügel Geschrei erhob und sich die ersten Reiter sogar wieder entfernten.
Als nur noch Bjoremul und Nuramon bei ihr waren, fand Daoramu endlich ihre Stimme wieder. »Liegt dort das Land der Alvaru?«, fragte sie.
Bjoremul senkte den Blick und verschwand im Licht.
Nuramons Augen glänzten. Er schüttelte den Kopf, dann streckte er ihr die Hand entgegen. »Gib mir das Schwert. Du brauchst es nicht mehr.«
Sie reichte es ihm, und nun zitterten ihre Hände.
Sein Blick war sanft. »Komm mit mir«, sagte er. »Dir wird kein Leid geschehen.«
Es zischte um sie herum. Es waren Pfeile, die vorbeischossen. Sie duckte sich, spürte den Windhauch eines Geschosses auf ihren Wangen und geriet ins Wanken.
Nuramon fasste ihre Hand. Seine war kühl, oder war ihre einfach so warm? »Ich bin eigentlich nicht so – unsicher«, sagte sie leise.
»Ich weiß«, entgegnete er lächelnd. Dann führte er sie ins Licht. Und als sie sah, was jenseits davon lag, jenseits der Welt, die sie bislang gekannt hatte, kamen ihr die Tränen.
Sie hatte ihren Großvater einen Lügner genannt, damals, als sie seine Geschichten nicht länger geglaubt hatte. Jetzt wusste sie es besser.
Heimkehr
Nuramon war erleichtert, als er und seine Gefährten durch das Tor in die Welt zurückkehrten und mitten in den Syardoren ihr Lager aufschlugen. Er holte seine Barinsteine aus dem Gepäck, um am Ufer des Sees ein erstes Licht zu pflanzen. Im honigfarbenen Schein der magischen Steine aus Albenmark sammelten und stapelten die Teredyrer Holz, und schließlich sprach Nuramon einen Zauber. Aus dem Nichts formte sich Feuer über seiner Handfläche. Er schritt von einem Holzstoß zum anderen und ließ eine Flamme von seinem ma gischen Feuer abspringen, die wie brennendes Öl zwischen die Scheite fuhr und sie entzündete. Diesen Zauber hatte er in einem früheren Leben von der
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