Nuramon
»Ich möchte darauf vorbereitet sein, wenn er ins Mondlicht geht. Denn dann möchte ich nicht auf dem Thron sitzen, mit dem Schmerz, nur deswegen wieder erwacht zu sein, um ihn fortgehen zu sehen.«
»Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, was ich nach Waragirs Tod vom Leben haben wollte?«
Ihre Mutter starrte sie lange an, ehe sie antwortete. »Gewiss. Aber so wie es für deinen Vater eine Zukunft nach Noroelle gab, gibt es auch für dich eine Zukunft. Und die Träume von Gerechtigkeit, die wir teilen, wirst nun du verwirklichen. Für mich sind es Träume aus einem anderen Leben. So viel ist geschehen, während ich schlief, und deine Großeltern sagen, du hättest mich gut vertreten. Dein Bruder meint, der Thron sei für dich bestimmt, und dein Vater sieht in dir etwas, das er zuletzt bei der Elfenkönigin sah.«
»Das ist zu viel«, sagte Nerimee und schüttelte den Kopf. »Das werde ich nie schaffen.«
Daoramu hob beschwichtigend die Hand. »Noch nicht und gewiss nicht allein. Aber wenn du deinen Großvater berätst, wirst du mit dem Thron im Blick die richtigen Fragen stellen. Er wird dir antworten und irgendwann die Krone in deine Hände legen. Sollte ich dann noch da sein, werde ich dir zur Seite stehen.«
»Mit Cerens Hilfe?«, sprach Nerimee leise.
Daoramu lächelte. »Immer mit Cerens Hilfe. Und gelingt es deinem Vater, die Magie zu zähmen, wird jeder, der auch nur einem Hauch deines Zaubers begegnet, sich daran erinnern, dass unser Haus das Chaos abgewendet hat.«
»Aber vielleicht möchte ich diese Anerkennung nicht.«
»Solange du hier bist, bist du die Enkelin des Königs. Vergiss nicht, du bist die Erste unserer Familie, die nach Jahrhunderten wieder in diesem Palast aufwuchs. Keiner von uns, nicht einmal dein Großvater, können fühlen, was du und Yendred fühlt – und was Gaerigar fühlte. Es wäre nicht falsch fortzugehen und etwas Eigenes zu begründen, Nerimee. Aber ich weiß, wie sehr du diese Insel liebst. Würdest du ihr und deiner Heimat je den Rücken kehren?«
Nerimee zögerte und schaute in die Stadt hinab. »Nein«, erklärte sie schließlich.
Daoramu lächelte. »Siehst du«, sagte sie. »Und das macht dich neben all deinen Vorzügen zu einer würdigen Thronfolgerin.«
»Auch im Sinne der Yanna? Sie war eine legendäre Kriegerin, und das werde ich niemals sein. Bin ich als Magierin des Erbes unserer Ahnin wirklich würdig?«
»Dein Vater ist dieser Meinung, ebenso wie deine Großeltern, dein Bruder und Ceren. Und ich ebenfalls. Was brauchst du mehr?«
»Und die Herzöge?«, fragte Nerimee. »Die Grafen und all die anderen?«
Daoramu lächelte liebevoll. »Was haben die Leute dir gesagt, wenn du sie von den Gefahren einer Quelle befreit hast? Wie sind dir die Krieger begegnet, wenn du sie über die Albenpfade geführt hast? Wie die Händler, denen du wertvolle Edelsteine gegen scheinbar wertlose getauscht hast?«
Nerimee konnte nur lächeln. »Ich muss zugeben, dass es lange her ist, dass mir jemand mit einem zweifelnden Blick begegnet ist.«
»Dann lass deinen Vater und mich in der Gewissheit auf den anderen Kontinent gehen, dass du die Thronfolgerin sein wirst. Du musst die Freiheiten dieser Aufgabe nur zu nutzen lernen und die Angst vor der Verantwortung abschütteln.« Ihre Mutter strich ihr übers Gesicht. »Ich weiß, dass du Angst hast.«
Nerimee nickte. »Wer hätte das nicht?«
»Aber du wirst es dennoch tun?«
»Ich werde Großvater zur Seite stehen. Und wenn die Zeit kommt, werde ich die Krone annehmen«, sagte Nerimee, aber sie fürchtete sich vor der Verantwortung. Sie dachte an die Jahre, in denen sie auf die Rettung ihrer Mutter hingearbeitet hatte. »Wer weiß?«, sagte sie. »Viel leicht habe ich die schwerste Last in meinem Leben bereits getragen.«
Ihre Mutter strich ihr durchs Haar und küsste sie dann auf die Schläfe. »Ich wünsche es dir«, sagte sie.
Die Feiern waren noch nicht vorüber, da schickte Nuramon Yendred, Lyasani und Salyra mit einer königlichen Botschaft über die Albenpfade nach Osten zu Fürst Sargul. Er solle Bjoremul, der seit fast zwei Jahren einer seiner Herzöge war, für eine wichtige Aufgabe freistellen. Drei Tage später kehrte Yendred mit seinen beiden Geliebten und Bjoremul nach Jasbor ein, und der Wyrenar weinte, als er Daoramu unter der Birkeneiche in die Arme schloss. Und auch Nylma begrüßte er, als hätte er sie jahrelang nicht gesehen. »Ihr wollt also ins Zwergenreich«, sagte er.
Nuramon nickte. »Und
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