Nuramon
Steinsäulen waren mit bunt leuchtenden Barinsteinen besetzt, doch von dem Leben, das hier einst geherrscht hatte, war nichts geblieben. Nur der Wind trieb den Schmutz und den Staub von hundert Jahren über den Steinboden.
»Da ist etwas«, sagte Nuramon und schritt an die erste Säule heran, bückte sich und zeigte ihnen einen schmalen Dolch, dessen Spitze abgebrochen und dessen Schneide verrostet war. »Das ist keine Zwergenarbeit«, sagte er. »Die Menschen im Tiefland haben früher ähnliche Waffen getragen. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Glaubst du, sie sind nach all den Jahren noch hier?«, fragte Nylma leise. »Sie haben hier einige Barinsteine erbeutet. Das waren Grabräuber, nichts weiter.«
»Glaubst du nicht, sie hätten dann mehr Steine genommen?«, fragte Nuramon und wies zu einem Torbogen, über dem sich ein Mosaik aus Edelsteinen wölbte. »Zumindest die Diamanten hätten sie doch wohl an sich genommen.«
»Du meinst, irgendetwas hat sie vertrieben?«, fragte Loramu, während die vier jungen Krieger sich suchend umschauten.
»Irgendetwas hat sich hier unter die Macht der Zwerge gemischt«, sagte Nuramon und führte sie dann durch den Torbogen in einen Gang und von dort aus in riesige Seitenhallen. Hier zogen sich gewaltige Plätze von breiten Treppen getrennt langsam in die Höhe.
Einige Steine heizten mit ihrer Magie die Umgebung auf und setzten dem kühlen Wind etwas entgegen. Die Barinsteine leuchteten ihnen den Weg, unterstützt durch Lichtbahnen, die von Kristallen gebrochen und von Spiegeln gelenkt aus den Decken und Wänden drangen. Bald war es so hell, dass Nylma ihren Barinstein in den Beutel zurücklegte.
Sie kamen an den riesigen Brunnen, von dem Nuramon einst erzählt hatte. Zwei steinerne Zwergenfrauen enormen Ausmaßes hielten Gefäße, doch der Wasserfall, der sich einst daraus ergossen hatte, war versiegt. Staub glitzerte in dem breiten, bläulichen Lichtstrahl, der aus der Höhe herabstieß. Weiter oben erstreckten sich Hallen, in denen das Licht unter der Decke in einem Nebel zu schweben schien. An manchen Wänden wuchs grünes Gestein wie Moos empor, und anderswo funkelten von Licht beschienene Edelsteine, weil hinter ihnen Wasser lief. Die Bergkristalle, die sich an ganzen Wänden und sogar in Treppenhäusern emporzogen, waren atemberaubend.
Nuramon führte sie über breite Wendeltreppen in die Höhe, über schwarz lackierte Holzbrücken hinweg, die sie trotz all der Zeit noch trugen, und über breite Steinstraßen, die einer Großstadt geziemten. Die Gänge wurden schmaler, und es kamen immer mehr Türen hinzu, sodass Daoramu vermutete, dass sie in die Wohnbereiche des Zwergenvolkes vorgedrungen waren.
Nuramon hielt an einer Ecke inne und schaute in einen finsteren Gang hinein. »Da ist etwas«, sagte er. »Eine Falle.« Er schritt an die Wand der Halle, holte einen Barinstein aus einer Vertiefung und kehrte an den Beginn des dunklen Ganges zurück. Er rollte den Stein der Dunkelheit entgegen. Dieser war keine fünf Schritte gekommen, da zischte es, und tausend winzige Blitze schienen nach dem Stein zu greifen. Sie packten ihn und warfen ihn immer wieder in die Höhe. Schließlich zerbarst er.
»Das Licht löst den Zauber aus«, erklärte Nuramon. »Vielleicht auch die Magie oder das Leben selbst. Wir müssen uns einen anderen Weg suchen.«
Sie wandten sich von dem Gang ab und gingen in den hell erleuchteten gegenüber. Sie waren keine zehn Schritte weit gekommen, als hinter ihnen aus der Ferne eine Art Tiergebrüll drang.
»Kommt, wir suchen uns einen Albenstern«, sagte Nuramon und schritt auf dem erleuchteten Gang voran.
»Aber wo sind die Albenpfade?«, fragte Nylma.
Nuramon wies den Boden entlang.
Die Schreie hallten immer lauter, und es schien, als mischte sich das Kreischen wahnsinniger Menschen unter das Gebrüll von Bären und das Fauchen von Wildkatzen. »Rasch!«, flüsterte Nylma und ließ sich zu Loramu ans Ende zurückfallen.
Durch eine Reihe von Gängen und Hallen liefen sie bis zu einer Treppe und folgten ihr in die Höhe auf einen Flur. Links und rechts gingen lange Säle ab, wie die Wohnungen der Familien, die Nuramon Daoramu beschrieben hatte. Der Gang endete in einem Saal ohne Ausgang.
Nuramon kniete sich hin, legte die Hand über den Boden und begann seinen Torzauber, während sich auf dem Gang bereits trampelnde Schritte unter das Geschrei mischten.
Nylma reichte Daoramu eines ihrer Kurzschwerter. Es war eine der gekrümmten Waffen der
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