Nuramon
den Gemächern allein waren, schauten sie sich im breiten Wohnraum um, in dem sich kaum etwas verändert hatte. »Es war jedes Mal schön, wenn wir gemeinsam hier waren«, sagte Daoramu. »Erst nur wir beide, dann mit Nerimee, später mit den Jungen.« Sie schaute zum rechten Schlafzimmer. »Weißt du noch, als sie nicht schlafen wollten und ich die Geduld verlor?«
»Ich habe mich erbarmt und ihnen die halbe Nacht Geschichten erzählt«, sagte er und folgte ihrem Blick.
»Du hast es mir nicht leichtgemacht«, sagte sie, und als Nuramon sie überrascht ansah, lachte sie. »Schau nicht so. Mit deiner Elfengeduld konnte ich mich nicht messen. Aber die Kinder erwarteten es von mir. Ich bin daran gewachsen. Und an dem langen Schlaf und dem Erwachen ebenfalls. Ich habe nun alle Geduld der Welt.«
»Warum will Nerimee mit Gaerigar unten schlafen?«, fragte Nuramon. Er öffnete die Tür auf den Balkon und ließ die Frühlingsluft herein.
»Sie weiß nur zu gut, was uns diese Gemächer bedeuten«, sagte Daoramu. »Deswegen gönnt sie uns Ruhe.« Sie ging in das linke Schlafzimmer, und Nuramon folgte ihr. Der Anblick des Raumes ließ ihn erst verharren, dann zu Daoramu treten und sie von hinten umarmen. Sie lachte. »Haben wir hier eigentlich je eine lustlose Nacht verbracht?«
»Die Nacht, in der ich den Kindern Geschichten erzählte?«, sagte er und wusste, dass das nicht stimmte. Als er Daoramus Ellenbogen in seiner Seite spürte, sagte er: »Ich kann mich an keine lustlose Nacht hier erinnern.«
Sie wandte sich zu ihm um und strich ihm mit der linken Hand über die Wange, die rechte legte sie sich auf die Brust.
»Du vermisst den Jugendstein, nicht wahr?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich merke nur, dass er fort ist.«
»Du hast ihn verschenkt, weil du glaubst, ich würde ins Mondlicht gehen«, sagte er, und als sie nickte, schloss er sie in die Arme. »Ich wünschte, wir könnten noch warten.«
»Nein«, flüsterte sie. »Als ich im Halbschlaf lag, wünschte ich mir zu erwachen und auch nur einen einzigen Tag mit dir und der Familie zu verbringen. Dieses Geschenk habt ihr mir gemacht – und mehr als das.«
Er strich ihr Haar zurück. »Wir müssen noch viel tun, um einen Sieg davonzutragen«, sagte er. »Uns bleibt gewiss noch ein wenig Zeit.«
»Nutzen wir sie auf Menschenweise und mit Elfensinnen«, sagte sie lächelnd und führte ihn zu dem Bett, in dem sie ihre erste Liebesnacht erlebt hatten.
Zwei Tage nach ihrer Ankunft setzte sich Nerimee im dunklen Zimmer ans Fenster, schaute auf den Marktplatz hinab und war erleichtert, dass ihr Vater Gaerigar mit einer Geschichte in den Schlaf half. Dies war die Nacht, in der Nylma und Bjoremul mit Tyregol kommen wollten. Der König und sein Gefolge würden im Nachbarhaus einkehren, das der Familie Murneru gehörte. Das Oberhaupt der Familie war die Ratsherrin Syarnia, die Frau von Byrr, der früher in der Oberstadt Minenarzt gewesen und seit Jahren schon der Medikus von Teredyr war. Sie waren eingeweiht und würden den König von Varmul beherbergen.
Gerade als die Sorge um Nylma und Bjoremul in Nerimee emporgekrochen war, sah sie unten auf dem Marktplatz zwei Stadtgardisten, die mit ihren Laternen einem kleinen Zug verhüllter Gestalten den Weg leuchteten. Sie erkannte Nylma und Bjoremul. Wer von den anderen gut zwei Dutzend Leuten der varmulische König war, konnte sie nicht erkennen. Erst als sich die Tür des Nachbarhauses für die Gäste öffnete und Bjoremul eine Verbeugung vor dem Krieger machte, der ihm auf dem Fuße gefolgt war, fand sie Tyregol. Es war mutig vom varmulischen König, an der Spitze seines Zuges zu gehen. Die meisten Adligen bewegten sich lieber in der Mitte ihrer Leibwächter.
Nerimee wirkte einen Zauber, der ihren Blick voranschießen ließ. Da sah sie das junge Gesicht des Königs im Schein des Lichtes, das durch die offene Tür auf ihn traf. Er hatte große, dunkle Augen, und der Bart und das gewellte Haar, das unter der Mantelkapuze hervorquoll, verbargen viel seines Gesichtes. Sein besorgter Blick fuhr umher, auch zu ihr herauf und an ihrem im Dunkeln liegenden Fenster vorüber, hinab auf den Platz zum Gasthof am Eingang einer Seitenstraße. Nerimee musste schmunzeln, als er einer zierlichen Gestalt den Vortritt ließ. Entweder war das seine Frau oder aber Yenwara, seine Mutter.
Nuramon war mit Relegir und einigen Kriegern im Keller. Die Bediensteten hatten den Raum leergeräumt und einen Teppich zu der Tür gelegt, die
Weitere Kostenlose Bücher