Nuramon
machen«, sagte er leise.
»Und wenn schon«, flüsterte sie zurück. Und da war es – das schelmische Lächeln.
»In diesem Leben sind es beinahe zweihundert Jahre. Und mit allen Inkarnationen sind es gewiss …«
Daoramus Finger glitten von seiner Wange ab, das Lächeln verging, und sie starrte ihn ungläubig an.
Er zögerte die Antwort hinaus. Hätte er doch nur geschwiegen und sie geküsst! Nun musste er es ihr verraten. »Mehr als viertausend Jahre«, sagte er schließlich.
Sie schaute ihn mit großen Augen an, und er erwiderte ihren Blick voller Sorge, er könnte sie mit seiner Antwort verschreckt haben. Ein ganzes Lied der Sänger auf dem Platz verstrich, ehe Daoramu wieder Worte fand. »Jetzt verstehe ich«, sagte sie leise und lächelte sanft.
Orakelblick
Yenwara fürchtete um ihr Leben. Gewiss würde der König ihr die Schuld an Daoramus Flucht geben. Doch dann empfing er sie gütig. »Du warst nicht einmal in der Nähe, als es geschah«, sagte er. Die Wärme seiner Stimme war Yenwara unheimlich. Zwei Tage später wurde der Kommandant der Gefängnisfestung hingerichtet.
Bjoremul reichte Nuramon die Hand, und der Elf packte sie. Hinter ihm leuchtete die magische Pforte, durch die sie hergekommen waren. Hier in den nordöstlichen Provinzen von Varmul würde König Mirugil sie nicht so rasch aufspüren.
»Das werde ich dir nie vergessen«, sagte Bjoremul.
Varramil verbeugte sich vor Nuramon, und ein schmales Lächeln huschte über seine Lippen. »Falls ich bei meinem Onkel Erbarmen finde, mag es sein, dass wir uns als Feinde auf dem Schlachtfeld wiedersehen. Aber auch Feinde können einander respektieren.«
Dorgal hingegen gewährte Nuramon nicht die geringste Geste. Er starrte ihn lediglich an, folgte dem Alvaru mit seinem Blick, bis dieser mit einem Lächeln im Licht verblasste.
Als die Lichtsäule verschwunden war, verging Bjoremuls Lächeln. Er wandte sich an Varramil und sagte: »Danke, Herr, dass du ihm nichts gesagt hast.«
Doranyr
Nuramon führte Daoramu, Werengol, Yargir und Nylma durch ein Lichttor in die Welt zurück. Sie kamen in ein Sumpfland, das er kannte, weil er es vor etwa vierzig Jahren durchwandert hatte. Das Gebirge, das sich jenseits des feuchten Landes in der Ferne erhob, stellte Daoramu ihnen als Lysdorynen vor – das Schlangengebirge.
»Heißt es so, weil es sich dahinschlängelt?«, fragte Werengol. »Oder müssen wir auf Schlangen vorbereitet sein?«
»Sowohl das eine als auch das andere«, antwortete Daoramu.
Die Teredyrer schauten sich mit zweifelnden Blicken um. »Dein Vater herrscht über ein ungemütliches Land«, sagte Yargir schließlich.
»Dieses Sumpfland gehört noch zu Varmul«, erklärte Daoramu. »Aber die nächsten Städte des Königreichs liegen Hunderte von Meilen südöstlich. Und kein Varmulier würde freiwillig das weite Sumpfland durchqueren.« Sie wies nach Westen. »Jenseits der Bruch wälder verläuft der Ruljas. Das ist der Grenzfluss zwischen Varmul und Yannadyr.« Sie deutete nach Nordwesten, wo die Wälder an den Berghängen besonders weit hinaufreichten. »Und dort liegt Doranyr, die Grafschaft meines Vaters.«
Als Daoramu voranschreiten wollte, um die Gefährten durch den Sumpf zum Ruljas zu führen, hielt Nuramon sie zurück. »Warte«, sagte er. »Ich suche uns auf den Pfaden einen Albenstern, der näher am Gebirge liegt.« Er war sich sicher, dass der Weg durch den Sumpf für Werengol zu viel war. Yangors Sohn war noch nicht ganz genesen, und auch Yargir wirkte auf Nuramon noch unsicher.
So kehrten sie auf die Albenpfade zurück und näherten sich ihrem Ziel Pforte um Pforte. Als Nuramon seine Gefährten am Mittag durch ein Zaubertor aus der Finsternis der Albenpfade ins Sonnenlicht hinausführte, war es, als wäre das Gebirge in Windeseile herangerückt. Sie standen in einem Weizenfeld, hinter ihnen strömte der Fluss Ruljas nach Süden, und jenseits davon begann mit dem Bruchwald das Sumpfland. Nuramon war froh, diese Hindernisse umgangen und so die Grenze nach Yannadyr überquert zu haben.
Auf den Wiesen an den Hängen diesseits des Flusses sahen sie Höfe, grasende Schafe und die von Bauern bewirtschafteten Felder. Die Grundstücke schmiegten sich so eng aneinander, dass es offensichtlich war, dass Acker- und Weideland in Daoramus Heimat rar gesät waren. Allerdings war das wenige Land wegen des Ruljas und seinem erdigen Wasser fruchtbar und vermochte gewiss die ganze Grafschaft zu versorgen. Weiter oben lagen die Felder
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