Nuramon
du kannst es tun. Hier und jetzt.« Sie schaute an sich hinab. »Dies ist gewiss nicht das Kleid einer Grafentochter, in der sie einen Werber empfängt. Aber ich weiß, dass es dich nicht kümmert. Und mich nun auch nicht mehr.«
»Wir haben das alles Nylma zu verdanken«, sagte Nuramon. »Wäre sie nicht gewesen, ich wäre aus Merelbyr fortgegangen und hätte Yannadyr nie wieder betreten. Ich hatte dich aufgegeben.«
»Das kann mich nicht enttäuschen«, entgegnete sie. »Ich will nur wissen, warum du gehen wolltest.«
»Weil die Frau, die plötzlich das Spiel der Väter und Fürsten spielte und so ihre Freiheit kampflos aufgab, nicht die Frau sein konnte, die ich oben im Minendorf noch hinter diesem Blick zu erkennen geglaubt hatte.«
»Und bin ich es nun?«
»Mehr denn je.«
»Aber du warst enttäuscht, als ich dich abwies.«
»Ich kann es nicht verhehlen. Aber nun können wir das nachholen, was dein Vater uns verwehrt hat. Wir können uns Zeit lassen.«
»Auf Elfenweise vorgehen?«, fragte sie.
Er nickte.
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Du zeigst eine Geduld, die ich nicht von anderen Männern kenne. Und dabei bist du eine große Versuchung. Wenn du nun meine Hände fassen und küssen würdest, würde ich schwach und könnte nicht widerstehen. Und binnen eines Augenblicks wäre die Zeit des Werbens vorüber.« Sie starrte ihn an, als warte sie nur darauf, dass er zu ihr kam.
Nuramon aber rührte sich nicht. »So etwas sagte ich einst einer Frau. Ich sagte ihr, sie müsse nur die Hand nach mir ausstrecken und ich würde ihrer Versuchung erliegen.« Er erzählte ihr von Obilee, der Vertrauten Noroelles, die sich in ihn verliebt und sich schließlich offenbart hatte.
»Und hat Obilee die Hand nach dir ausgestreckt?«
»Hätte sie es getan, wäre ich nicht hier. Ich würde bei ihr sein und mich ständig fragen, wie mein Leben hier verlaufen wäre.«
»Du hättest dich gefragt, ob Noroelle dich erwählt hätte?«
Nuramon nickte.
»Es ist nicht leicht, neben Frauen wie Noroelle zu bestehen. Wird sich unsere Liebe je mit der euren messen können?«
»Hätte ich nur dieses Leben gelebt, hätte unsere Liebe an solchen Klippen zerschellen können. Aber wie vergleiche ich die Liebe zu Noroelle mit der zu Diyomee, zu Yoradae oder den anderen, die ich in früheren Leben liebte? Ist die eine Liebe besser als die andere? Wenn mich die Erinnerung eines gelehrt hat, dann, dass die eine Liebe eine Illusion ist.« Er dachte an Noroelle und Farodin und wie sie ins Mondlicht gegangen waren. »Aber Ceren, der Baumgeist, der einst über meine Sippe wachte, sagte oft, dass nur das Gefühl zählt. Ich wiege die Gefühle für dich nicht gegen die anderen auf.«
»Vielleicht sollte es aber so sein, dass wir an die eine Liebe glauben. Es war eine schöne Zeit, als ich in dieser Illusion lebte. Und mit jedem Liebhaber schwand sie ein wenig mehr. Es war wie mit den Märchen, an denen ich irgendwann zweifelte. Aber dann bin ich dir begegnet, und die Illusion fühlt sich plötzlich so wahr an. Ich kann nicht auf Jahrtausende zurückblicken. Meine Liebeserfahrungen reichen gerade einmal ein paar Jahre zurück. Und außer Freuden war dort nichts weiter, woran es sich zu erinnern lohnt. Du aber erinnerst dich an erfüllte Liebe. Kannst du noch einmal das empfinden, was du früher empfunden hast? Verblasst das Gefühl nicht in der Wiederkehr?«
Nuramon dachte an seine früheren Lieben und betrachtete Daoramu. Keine der alten Gefühle schmälerten, was er in diesem Augenblick empfand. »Viele, die sich so weit zurückerinnern können wie ich, machen die Erfahrung, dass ihre Empfindungen und ihre Sinne mit der Zeit abstumpfen. Die einen halten sich am Altbewährten fest – vielleicht aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit, vielleicht aber auch aus Angst. Und über die Zeit werden sie blind für das, was um sie herum ist, und sie werden misstrauisch gegenüber dem Neuen. Sie empfinden für das ewig Gleiche nicht mehr das, was sie am Anfang empfanden, und sehnen sich nach den Tagen der Unbefangenheit zurück. Andere aber suchen, weil sie für das Bekannte abstumpfen, nach dem Neuen, nach etwas, das sie herausfordert. Und ziehen immer dann weiter, wenn ihre Sinne und Empfindungen abzustumpfen drohen.«
»Und du zählst zu ihnen?«
»Nein, ich zähle weder zu ihnen noch zu den anderen. Meine Sinne und meine Empfindungen stumpfen nicht ab. Sie sind wie aus einem Metall, das sich am Stein der Zeit schärft, ohne zu schwinden. Sie
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