Nuramon
Geschicke Tausender Menschen entschieden, die Hand, ohne zu wissen, wer sie waren. Daoramu hingegen schien sie alle zu kennen, als hätte sie das Geschehen in Jasbor die ganze Zeit verfolgt.
Das erste bekannte Gesicht, das Nuramon im Gefolge des Fürstenpaares erblickte, war das von Helerur, dem Herzog von Byrmul. Dass der Hochadel statt Herzog Helerur Daoramus Vater zum Fürsten gekürt hatte, erstaunte ihn.
Während Daoramu zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter den Weg zum Palasttor beschritt, trat Helerur an Nuramon heran. »Der Alvaru kehrt zurück«, sagte er. »Vielen wird ein Stein vom Herzen fallen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, warum«, erwiderte Nuramon.
»Es herrscht Krieg«, sagte der Herzog. »Da könnte die Macht eines Alvaru die Wende bringen.«
»Ich bin nicht des Krieges wegen hergekommen. Ich bin gekommen, um eine Familie zu gründen.«
»Natürlich«, sagte Helerur und schaute Daoramu nach. »Verzeih mir.«
Nylmas und Yargirs Mienen verrieten, dass sie dem Herzog am liebsten an die Kehle gehen wollten. Auch Nuramon hatte den Angriff in der Grafschaft Doranyr nicht vergessen, den Helerurs Leute gegen sie geführt hatten. Doch er hatte sich ebenso wie Nylma und Yargir Daoramus Wunsch gebeugt. Sie war sich sicher, dass man gegen Männer wie Helerur im Verborgenen vorgehen musste. Keinesfalls dürfe es zum offenen Schlagabtausch kommen.
Nuramon folgte der Hofgesellschaft an der Seite von Helerur, mit Nylma und Yargir im Rücken. Als sich das Palasttor hinter ihnen geschlossen hatte, fragte der Herzog: »Dann werdet ihr Borugar also nicht beistehen?«
»Doch«, sagte Nuramon. »Aber das Wohl unseres Kindes geht vor.«
»Das ist eine bewundernswerte Haltung«, erwiderte Helerur.
»Gewiss«, entgegnete Nuramon. »Und falls ein Königreich das Leben meiner Frau und meines Kindes bedroht, werde ich tun, was man von mir erwartet. Nur hatte ich das Gefühl, dass der alte Fürst das Falsche von mir erwartete.«
»Und deswegen ist er nun tot, und mit ihm sind all seine Intrigen und Pläne gestorben. Das Alte ist begraben, das Neue ist erwacht.«
Nuramon nickte. »Aber sollten alte Pläne in neuer Gestalt wiedergeboren werden, würde es für die Intriganten ein schlechtes Ende nehmen. Wer Drachen weckt, sollte gegen ihren Feuerhauch gerüstet sein.«
Helerur lächelte schief. »Nur ein Dummkopf würde, nachdem er den Drachen erkannt hat, danach streben, ihn zu wecken«, sagte er und schritt davon.
Nuramon blickte ihm nach und flüsterte auf Zwergisch: »Der kluge Krieger bemüht sich, den Drachen im Schlaf zu töten.« Sein alter Freund Alwerich hatte das oft gesagt.
»Wir müssen aufpassen«, sagte Nylma und strich Waragir über den Kopf. »In Zeiten wie diesen wird Verrat gesät. Vielleicht sollte Borugar gegen Helerur vorgehen.«
Nuramon schüttelte den Kopf. »Wir halten uns an Daoramus Plan. Solange er stillhält, tun wir es auch.«
»Und was, wenn er nicht stillhält?«, fragte Yargir.
»Dann werde ich ihn töten«, sagte Nuramon.
Der Empfang, den ihre Eltern ihr bereiteten, überwältigte Daoramu, und als sie Nuramon im Fürstensaal in ihre Mitte nahmen und ihn in ihrer Familie willkommen hießen, war sie gerührt. Selbst Nylma und Yargir wurden herzlich empfangen, und an Waragir hatte ihre Mutter sofort einen Narren gefressen. Immer wieder hielt sie das Kind im Arm und spielte mit dessen Fingern.
Am Abend aßen Daoramu und Nuramon gemeinsam mit Nylma, Yargir und ihrer Mutter zu Abend. Während sie Fisch, Gemüse und das landestypische Weißbrot genossen und der kleine Waragir in einer Wiege neben Nylmas Stuhl schlief, fragte Jaswyra Nuramon, wann er und Daoramu einander das Ehegelübde gegeben hatten. Nuramon schaute Daoramu fragend entgegen, und so antwortete sie an seiner statt: »Alles, was nötig war, wurde bereits gesagt. Erzähl uns lieber, wie es Vater und dir ergangen ist.«
Ihre Mutter überlegte kurz, dann lächelte sie und erzählte ihnen, wie das Schicksal Borugar und sie mit raschen Schritten hergeführt hatte: Der alte Fürst, Yarro Lysgoru, war an seinem eigenen Misstrauen zugrunde gegangen, und Borugar war mit dem Versprechen auf den Thron gekommen, die verlorenen Gebiete im Osten Yannadyrs zurückzuerobern. »Er muss eine aufwühlende Rede gehalten haben«, erklärte Jaswyra. »Und er war der Einzige, der noch glaubte, den Angriff der Varmulier auf den Pässen stoppen zu können. Ich wünschte, er würde Jasgurs Angebot, das Heer für ihn zu führen, annehmen.
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