Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
dumpfen Geräusch ins Gesicht des Kriegers. Wenn seine Nase danach nur halbwegs so schmerzte wie Nills Hand, hatte sie diesen Kampf gewonnen!
Der Tyrmäe überschlug sich und stürzte die Treppe hinab. Auch Nill verlor den Halt – die Stufen waren plötzlich über ihr, sie sah ihre eigenen Füße in der Luft, ihr Hinterkopf schlug schmerzhaft gegen die Wand – dann packten sie zwei Hände an den Armen und hielten sie fest.
Kaveh war unmittelbar vor ihr. Er stützte sich mit einem Fuß gegen die Wand, damit er nicht mit Nill die Treppe hinabrutschte. Erschrocken starrten sie sich an und rangen nach Luft.
»Ich – bin – beeindruckt«, stieß Kaveh hervor.
Und er verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln.
»Ich – auch.« Nill grinste, halb betäubt vom ra-senden Trommeln ihres Herzens.
Flucht
Die Kleider der Grauen Krieger waren ihr viel zu groß. Der breite graue Mantel schlotterte ihr um die Füße und sie musste die Ärmel dreimal umkrempeln.
Nur für die große Kapuze war Nill überaus dankbar –
ihr Gesicht verschwand fast ganz darin. Kaveh und den Rittern passten die Kleider besser, die sie den reglosen Kriegern am Fuß der Treppe abnahmen. Die Speere handhabten sie vom ersten Augenblick an so sicher und natürlich, als hätten sie nie andere Waffen gekannt. Als sie fertig angezogen waren, wandte sich Kaveh zu Nill um und besah sie von oben bis unten.
Mit einem kurzen Kopfschütteln zog er ihren Um-
hang unter dem Mantel hervor und stopfte ihn wie eine Wurst um ihre Schultern. Danach sah sie wie ein kleiner Schrank aus, aber wenigstens ähnelte das einem Grauen Krieger eher. Gemeinsam hievten sie die Tyrmäen hoch und häuften sie auf die Stufen. So würde man sie nicht gleich sehen.
Zwar waren Nill, Kaveh, Mareju und Arjas ge-tarnt, aber aus Bruno konnte man beim besten Willen keinen Grauen Krieger machen. Also stellten sich Nill und die Elfen rings um ihn auf, um ihn notdürf-tig in ihrer Mitte zu verbergen, und schritten los.
Kaveh führte sie, vom Keiler vorangestupst, durch Kerkergänge und Treppen hinauf und an dunklen Torbogen vorbei. Nill fühlte sich wie in einem Labyrinth – jede Ecke sah gleich aus. Und ein Ausgang war nicht in Sicht. Hinter jeder Treppe und jedem Gang warteten neue Stufen und Korridore.
Endlich sahen sie am Ende eines Ganges ein breites Eisentor aufragen. Dahinter zog sich eine Treppe in die Höhe. Mehrere Graue Krieger hielten am Tor Wache.
Mareju fluchte. »Wie sollen wir Bruno an denen vorbei bringen?«, stöhnte er – und hatte noch im selben Augenblick einen Einfall. Hastig zog er sich seinen eigenen Mantel aus, den er unter dem des Grauen Kriegers getragen hatte. »Gib deinen Mantel auch her, Arjas!«
Zögernd rückte Arjas seinen Mantel heraus. Mareju nahm ihn und breitete beide Mäntel auf dem Boden aus.
»Kaveh – kannst du Bruno vielleicht überreden, da hineinzusteigen?«, fragte Mareju. »Und außerdem muss Bruno still sein. Und darf sich nicht bewegen.«
Ratlos sah Kaveh den Keiler an, der seinen Blick nicht weniger zweifelnd erwiderte.
Nill war klar gewesen, dass ein ausgewachsener Keiler ein schwerer Brocken ist. Aber dass er so schwer war – das wäre ihr in den kühnsten Träumen nicht eingefallen.
Sie hatten Bruno in beide Mäntel gewickelt und die Ärmel an seinem Rücken verknotet. Nach größ-
tem Bitten und Flehen von Kaveh hatte der Keiler sich bereit erklärt, ihren Plan zu erdulden; nur ein hoffnungsloses Grunzen drang durch den Mantel-stoff, als sie ihn zu viert hochhievten. Nill ging fast in die Knie, so schwer kam ihr der Hinterbau des Wildschweins vor.
Aber weder die Zwillinge noch Kaveh ließen sich etwas anmerken, und so biss auch Nill die Zähne zusammen – schließlich durfte sie nicht stolpernd und ächzend vor die Grauen Krieger treten. Sie senkte den Kopf, sodass die Kapuze ihr noch tiefer ins Gesicht fiel, und dann gingen sie langsam und im Gleichschritt los.
Die Grauen Krieger vor dem Eisentor sahen sie aus der Dunkelheit kommen und hoben ihre Speere höher. Mit misstrauischen Blicken maßen sie die Ge-fährten und das schwere Bündel in ihrer Mitte. Als sie vor dem Tor angekommen waren, richtete einer
der Wächter seine Speerspitze auf sie. Nills Herz schlug bis zum Hals. Sie wagte nicht den Kopf zu heben, geschweige denn die schreckliche Stille zu durchbrechen.
»Toter?«, knurrte der Graue Krieger. Die Speerspitze schwenkte auf Bruno.
Kaveh warf einen Blick zu Mareju. Dann nickte er knapp. Er
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