Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
räusperte sich und bestätigte mit einem vorgetäuschten Akzent: »Toter.«
Die Grauen Krieger nickten sich zu und öffneten das Tor ein Stück, sodass die Gefährten mit Bruno hindurchpassten. Nill hörte, wie das Tor hinter ihnen wieder ins Schloss fiel. Schweiß rann ihr den Rücken herab. Stufe um Stufe schleppten sie Bruno hoch.
Die Treppe führte in einen Korridor aus schwar-zem Stein, der sich gänzlich von den Gewölben darunter unterschied: Hier war die Decke wieder viermal so hoch. Kein Stroh und keine zerbröckelten Steine lagen auf dem Boden verstreut und die Fackeln an den Wänden steckten in goldverzierten Hal-tern. Sie waren wieder im Reich des Königs.
Der Königin, verbesserte sich Nill. Sie und die drei Jungen traten ein Stück hinter der Treppe zur Seite und ließen mit einem gemeinsamen Aufseufzen Bruno auf den Boden. Sie hatten es geschafft! Sie waren tatsächlich aus den Kerkern entkommen – es war kaum zu glauben.
Augenblicklich regte es sich wieder in den beiden Mänteln, der Keiler röchelte und schnaubte wütend
und sprang aus dem Stoff, sobald Mareju die verkno-teten Ärmel gelöst hatte.
»Das war ein guter Plan«, sagte Kaveh und tätschelte Bruno den Kopf, der dazu ein eingeschnapp-tes Grunzen vernehmen ließ.
Mareju grinste. »Vielleicht werde ich später mal dein königlicher Berater.«
»Jaah, wenn es ein Später gibt«, ergänzte Arjas.
»Erst mal sollten wir uns verdrücken, und zwar schnell.«
Sie stellten sich wieder rings um Bruno auf und schritten durch die stillen Korridore. Nill versuchte sich an den Weg zu erinnern, den die Grauen Krieger genommen hatten, als sie sie aus der Thronhalle ins Verlies gebracht hatten. Aber ihr schien, als sehe sie die Gänge und Hallen jetzt zum ersten Mal.
Und doch – etwas war ihr vertraut. Sie spürte es in der Luft: die Anwesenheit des Steindorns. Er war hier. Er war nah. Als Nills Blick über die dunklen Deckengewölbe glitt, glaubte sie seine Gegenwart durch jede Mauer, jeden Stein zu spüren …
»Das magische Messer«, flüsterte sie. »Wir müssen noch das magische Messer holen. Ohne das können wir nicht gehen.«
Kaveh warf ihr einen Blick zu. »Weißt du, wo es ist?«
Im letzten Moment verkniff Nill sich ein »Nein«.
Sie dachte an den Steindorn und glaubte ihn für den Bruchteil einer Sekunde in den Händen zu halten. Sie spürte den kalten, glatten Stein, die buckelige Form –
»Ich weiß, wo er ist.« Die Worte überraschten sie selbst mehr als die anderen. »Das heißt – ich glaube, ich kann es spüren.«
Nill wich Kavehs verwundertem Blick aus und sah geradeaus. Sie musste sich konzentrieren. Sie konnte es.
Steindorn!
Der Gedanke an ihn schien durch den ganzen Turm zu hallen. Und von fern her kam die Antwort, ein Pochen, das durch die Gemäuer vibrierte wie ein schwacher Herzschlag …
Nun war es Nill, die die Elfen führte. Sie bogen in verschiedene Korridore ab, liefen wuchtige Wendel-treppen empor, weiter, weiter hinein in die Stille des gigantischen Turms. Es war, als zögen Nill unsichtbare Fäden voran. Aber sie spürte sie stärker als irgendetwas sonst. Es war dasselbe Ahnen, das sie schon früher gehabt hatte. Wenn sie gewusst hatte, dass ein Gewitter heraufziehen oder eine Regenflut kommen würde, noch lange bevor es geschah. Es war ihr immer vorgekommen, als flüsterten ihr die Bäume diese Ahnungen zu. Nill hatte geglaubt, dass sie diese merkwürdige Gabe ihrer elfischen Herkunft verdankte. Doch nun, da Kaveh und die Zwillinge sie erstaunt musterten, erkannte sie, dass es nichts damit zu tun hatte. Es hatte nur etwas mit ihr zu tun … Doch auch darüber wollte Nill jetzt nicht nachdenken. Sie versuchte sich ausschließlich auf den Weg zu konzentrieren – und das Flüstern des Steindorns.
In der Ferne ragte ein Tor auf. Im Näherkommen stellte Nill fest, dass dahinter die Thronhalle lag: Sie waren in einem Korridor gelandet, der seitlich von der Halle abbog! Die Gefährten liefen schneller.
Konnte das sein? Befand sich das magische Messer tatsächlich noch dort, wo es Scapa aus den Fingern geglitten war?
Im Schatten des hohen Torbogens blieben Nill, die Elfen und Bruno stehen. Ihre Blicke durchstreiften die riesige Thronhalle, doch es hielt niemand Wache.
Nur die Fackellichter bewegten sich leicht. Wolkenfetzen trieben über den Nachthimmel und warfen Schatten durch die hohen Fenster.
»Das Messer muss bei der Empore dort sein«, flüsterte Nill. Sie versuchte beim Anblick der
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