Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Atem schlug Nill entgegen.
Kaveh half ihr auf den Pferderücken – einen Sattel hatten sie nicht. Er schloss ihre Hände um die dunkle Mähne und sagte etwas Beschwörendes. Wenig spä-
ter saßen auch die Elfen auf drei Rappen. Sie stießen ihre Fersen in die Flanken der Tiere, und als die
Schlachtrösser der Grauen Krieger losgaloppierten, aus der langen Scheune hinaus und direkt in die Nacht hinein, folgte Nills Pferd ihnen.
Nill klammerte sich mit Beinen und Händen fest, und es dauerte eine Weile, bis sie sich halbwegs an die Bewegungen des Hengstes gewöhnt hatte. Kalter Wind brauste ihr entgegen und wollte ihr die Kapuze vom Kopf reißen. Nill senkte das Gesicht und duckte sich so tief, dass die Pferdemähne ihr im Gesicht kitzelte.
Glühende Lichter zogen an ihnen vorbei. Lärm –
der Lärm der Minen – rauschte in solcher Geschwindigkeit vorüber, dass sie die Geräusche nur verzerrt wahrnahm. Das laute Schlagen der preschenden Hufe verwandelte sich in Nills Herzklopfen, es schwoll an und wurde immer stärker, immer schneller. Als die blutroten Lichtflecken hinter ihnen zurückblieben, war in der Finsternis nichts anderes mehr zu hören.
Die Erde bebte unter ihnen. Der Wind zerrte an Nill, als wolle er sie zurückhalten, als wolle er sie verraten. Sie hob den Kopf und ließ ihn sich vom Wind in den Nacken reißen. Die Kapuze flatterte von ihrem Gesicht. Über ihr eröffnete sich ein funkelndes, tanzendes Sternenfeld, das in Tränen verschwamm.
Der Traum der Menschen
Sobald der Morgen aufgezogen war, hatte der Prinz von Dhrana das dunkle Wirtshaus und Maferis verlassen.
Er war drei Wochen unterwegs. Tagsüber wanderte er wie ein Schatten durch die Sümpfe. In den Nächten lag er zwischen Morast und Schilfgras und wiederholte flüsternd die elfischen Wörter, die er sich zurecht gelegt hatte. Wenn er die Augen schloss, sah er funkelnde Schätze vor sich, eine Armee von zehntausend Kriegern, ein Heer, das seinen Namen rief, eine Krone aus Stein … Und er zitterte vor Freude und Machtgier, während er im Dreck kauerte.
Als er das Dorf der Elfen erreichte, starrte er vor Schmutz, war steif vor Kälte und vom Hunger be-täubt. Sein menschliches Gesicht verbarg sich hinter dem Schlamm, mit dem er es eingerieben hatte.
Die Späher des Dorfes geleiteten ihn zwischen den Hütten hindurch, die geduckt und zusammengedrängt wie verängstigte Kinder im weiten Land hockten.
Der Regen nieselte. Irgendwo hinter bleichen Nebelwänden krächzten Raben.
Das Haus des Königs war eine Schlammhütte, nicht anders als die der gewöhnlichen Elfen. Selbst-vertrauen bemächtigte sich der unbewaffneten, schmutzigen Gestalt, die die Späher des Dorfes für einen unbedeutenden Boten der Freien Elfen hielten.
Ein König, der in so einem Erdloch hauste, musste leicht zum Narren zu halten sein.
Der verstoßene Prinz schritt die glitschigen Steinstufen zur Hütte hinauf. Dann schob er den Ranken-vorhang zur Seite und trat ein.
Die Hütte war erfüllt vom Duft räuchernder Kräuter. Ein Herdfeuer knisterte. Auf einem niedrigen
Stuhl aus gespannten Wolfsfellen saß der König, eingesunken und mit abwesendem Blick. Träge sah er auf. Um seine Stirn schmiegte sich die Krone Elrysjar, rot schimmernd im Feuerschein.
»Ich bin ein Prophet.« Der Prinz sprach leise, sein Blick ruhte auf der Krone. Langsam straffte er den Rücken. Die Augen des Königs hellten sich auf. Der Prinz wusste, dass er abergläubisch war. Mit so viel Hass und Abscheu hatte Maferis ihm von der Schwä-
che des Königs erzählt, dass es sich in sein Gedächtnis gebrannt hatte.
»Ich werde dir prophezeien, wie du Xanye, deine Schwester, von dem bösen Geist befreien kannst, dessen sterblicher Name Maferis lautet.«
Der König richtete sich schwerfällig in seinem Stuhl auf. Die Hände krallten sich um seine Armlehnen. Starr blickte er den Fremden an.
»Wer bist du? Woher weißt du davon?«
»Ich bin ein Seher aus den tiefen Sümpfen«, flüsterte der Prinz. »Ich lebe jedem Geschöpf verborgen, wie eine Natter in ihrem Versteck.«
Der König wurde bleich vor – ja, ja! – bleich vor Ehrfurcht! »Du weißt von Xanye?«, hauchte er. Sein Kinn bebte. »Du weißt von Maferis …? Dann musst du fürwahr ein Seher sein, Fremder. Xanye spricht nicht mehr. Kein Wort kommt über ihre Lippen.
Kein Gedanke spricht aus ihren Augen, seit Maferis, der Verräter, gegangen ist. Unsere Krone hat er nicht bekommen, aber Xanyes Herz hat er doch gestohlen!« Die
Weitere Kostenlose Bücher